4. Analyse der Mediennutzung von Risikolernern

Inhalt

4.1 Analyse der Mediennutzung der Jungen und benachteiligten Jugendlichen

4.1.1 Mediennutzung der jugendlichen Jungen

Der folgende Abschnitt präsentiert Mediennutzungsdaten jugendlicher Jungen in Bezug auf die medientechnischen Ebenen Fernsehen, Computer und Internet, Gaming und Spielkonsolen sowie Handy. Die Daten stammen vornehmlich aus den Studien „Jugend, Information, Medien (JIM)“ des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest. Da diese Studienreihe als Langzeitstudie angelegt ist, bietet sie – auch wegen der großen Anerkennung und Verbreitung, die diese Studienreihe im öffentlichen Diskurs genießt – eine sichere Grundlage für einen möglichst kohärenten Zugang zur Mediennutzung der Jungen. Um der Transformationsdynamik der Massenkommunikation und vor allem der Handynutzung gerecht zu werden, präsentiert der folgende Abschnitt die Daten von vier JIM-Studien der Jahre 2006, 2007, 2008 und 2009 (Feierabend & Rathgeb, 2006, 2007, 2008, 2009) im Querschnitt.

4.1.1.1 Fernsehen

Die Jungen und Mädchen besitzen über die Jahre hinweg zu einem fast gleich bleibenden Wert von etwa zwei Dritteln einen eigenen Fernseher. Lediglich in den Jahren 2007 und 2008 weisen die JIM-Studien für die Jungen einen etwas höheren Wert aus.

 

 

2006

2007

2008

2009

Jungen

64

71

64

61

Mädchen

65

63

57

60

Tabelle 1: Fernsehgerätebesitz jugendlicher Jungen und Mädchen 2006 bis 2009, alle Angaben jeweils in Prozent bezogen auf die jeweiligen JIM-Studien (eigene Auswertung)

 

Bei den Lieblingssendern sind teilweise deutliche Gender-Präferenzen zu erkennen. Die JIM-Studien bieten nur für die Jahre 2006 und 2007 einen direkten Vergleich der Lieblingssender für Jungen und Mädchen. Hierbei werden nicht stringent die gleichen Sender verglichen und es kommt hinzu, dass sich auch die Senderlandschaft in dieser Zeit leicht verändert hat, da einige Sender den Betrieb eingestellt haben und andere, wie Nickelodeon (Nick) oder DMAX, den Betrieb (wieder) aufgenommen haben.

 

 

Jungen 2006

Mädchen 2006

 

Jungen 2007

Mädchen 2007

PRO 7

42

31

 

39

36

RTL

6

18

 

7

21

MTV

8

9

 

8

8

SAT.1

5

11

 

5

8

RTL2

10

4

 

9

3

Viva

2

8

 

3

7

N-tv

6

2

     

VOX

2

7

 

1

5

DSF

3

0

 

3

0

Viva Plus

1

2

     

Kabel1

3

0

     

ARD

2

2

 

2

4

Ki.Ka

0

2

     

SuperRTL

     

3

2

Nick

     

3

1

DMAX

     

4

0

Tabelle 2: Lieblingssender jugendlicher Jungen und Mädchen 2006 und 2007, alle Angaben jeweils in Prozent bezogen auf die jeweiligen JIM-Studien (eigene Auswertung)

 

An den Senderpräferenzen kann man den deutlichen Trend ablesen, dass Mädchen eher Soap-Operas bevorzugen und Jungen eher Zeichentrick (vgl. dazu auch Raabe u. a., 2007, 2008; Rummler, 2005). In Tabelle 2 ist dieser Unterschied an der Sendung Die Simpsons auf PRO 7 für Jungen und der Soap-Opera Gute Zeiten, Schlechte Zeiten auf RTL ablesbar. Die Zeichentrickserien auf RTL 2 machen den Sender insgesamt für Jungen interessanter. Ähnliches gilt für Super RTL und Nick. Die Informationsmagazine auf n-tv und DMAX sind speziell für Jungen von Interesse. Dies bestätigt auch die JIM-Studie 2008 (Feierabend & Rathgeb, 2008, S. 27ff).

4.1.1.2 Computer und Internet

Die JIM-Studien unterscheiden, wie viele andere Nutzungsstudien zu Computer und Internet, die Tätigkeiten im Bereich Offline und Online. Dies berücksichtigt den Umstand, dass viele Menschen und Haushalte zwar einen Computer besitzen, aber keinen Internetzugang haben, sowie, dass die Qualität des Internetzugangs Nutzungsmuster massiv beeinflusst. Mit der Qualität des Zugangs ist einerseits die Bandbreite des Internetzugangs gemeint, die mit einem Telefonmodem sehr eingeschränkt und langsam ist im Vergleich zu Internetverbindungen über Glasfaserkabel oder DSL. Andererseits hat sich in den vergangenen zehn Jahren herausgestellt, dass sich beispielsweise die Verweildauer der Nutzer auf einer Website vervielfacht, wenn der Internetzugang nicht mehr in kurzen Taktraten abgerechnet wird, sondern in Form einer sogenannten Flatrate.

 

 

Offline-Tätigkeiten


Abbildung 21: Offline-Tätigkeiten der Jungen und Mädchen nach JIM 2006, 2007 und 2008 (eigene Auswertung)

 

Auch wenn die Betrachtung der Offline-Tätigkeiten aus genannten Gründen nicht unproblematisch ist und auch wenn die Betrachtung der Jungen aufgrund der Datenlage in den JIM-Studien hierbei nur im Vergleich zu den Mädchen erfolgen kann, gibt sie Aufschluss über Trends in den geschlechterspezifischen Nutzungsmustern.

Die Grafik zu den Offline-Tätigkeiten stellt die Werte der JIM-Studien der Jahre 2006, 2007 und 2008 und die jeweiligen Tätigkeitsbereiche gemeinsam dar. Die Werte der Jungen sind in blauen Balken und die Werte der Mädchen in roten Balken dargestellt. Obwohl es nicht unproblematisch ist, dass der geneigte Leser der JIM-Studien keine Hinweise auf die Entstehung der Kategorien bekommt, ist doch die Breite und Anzahl der Kategorien nützlich, um Trends in den Nutzungsmustern der Jungen zu entdecken.

Auffallend an den Geschlechterunterschieden ist der große Abstand der Jungen im Bereich der Computerspiele. Hier gibt über die Jahre hinweg etwa die Hälfte der Jungen an, regelmäßig am Computer Spiele zu spielen. Neben dem Programmieren geben die Jungen in der Regel häufiger an, Multimedia-Produkte selbst herzustellen. Dies gilt vor allem für die Kategorien ‘DVDs brennen’, ‘selbst Musik machen/komponieren’, ‘Bearbeiten von Tönen/Musik’, ‘CDs brennen’, ‘Musik-CDs/MP3s zusammenstellen’. Im Bereich Multimediabearbeitung und -produktion haben die Mädchen in der nur in 2008 abgefragten Kategorie ‘Bild-, Foto-, Videobearbeitung’ etwas höhere Werte als die Jungen.

In den vordergründig eher rezeptiven Bereichen ‘mit PC Musik hören’ (nur in 2006) und ‘DVDs anschauen’ liegen die Jungen ebenfalls vor den Mädchen.

Zu den Tätigkeitsbereichen, die eher direkt mit Schule verbunden sind, haben die Jungen weniger große Affinität. Die JIM-Studien bilden diesen Bereich in den Kategorien ‘für die Schule arbeiten’, ‘Lernprogramme’, ‘Präsentationen/Referate erstellen’ und letztlich auch durch die Kategorie ‘Texte schreiben und bearbeiten’ ab. Insgesamt ist deutlich, dass Jungen diesen Tätigkeiten sehr viel seltener nachgehen als Mädchen und damit sehr viel seltener den Computer in einer Weise nutzen, wie Schule es erwarten würde und es Mädchen im Gegensatz dazu machen. Für Jungen steht hier die vielfältige Bearbeitung und Herstellung von Multimedia-Produkten im Vordergrund.

 

Online-Tätigkeiten


Abbildung 22: Online-Tätigkeiten der Jungen und Mädchen nach JIM 2006, 2007 und 2008 (eigene Auswertung)

 

Bei den Online-Tätigkeiten setzen sich die groben Trends in den Nutzungsmustern der Jungen fort. Spielen ist für die Jungen auch online eine bedeutsame Form der Nutzung. In den beiden Kategorien ‘Multi-User-Spiele’ und ‘Online-Spiele alleine’ liegen die Jungen weit vor den Mädchen.

Für die Jungen scheint – analog zum Offline-Konsum von DVDs – die Nutzung von Audio und Video aus dem Internet große Bedeutung zu haben. In dieser Perspektive geben jeweils mehr Jungen als Mädchen an, Musik und Sound zu hören bzw. herunterzuladen, Filme und Videos anzuschauen bzw. herunterzuladen sowie (Web-)Radio zu hören und Internetfernsehen zu schauen. Ähnliches gilt auch für die Kategorie ‘Musik/Sound einstellen’.

Wie auch im Bereich der Offline-Tätigkeiten nutzen die Jungen das Internet weit weniger für direkt schulbezogene Dinge. Dieses Muster schließt vor allem das Produzieren von schriftsprachlichem Text ein. Dies gilt zunächst für die Kategorie ‘Berufs-/ Bildungsinfos/Schule’, die in der Abgrenzung zur Kategorie ‘Informationssuche nicht Schule’ zu sehen ist. Insofern geben mehr Mädchen an, Informationen im Internet gezielt in Bezug auf Beruf, Bildung und Schule zu suchen. Dehnt man diese Perspektive weiter aus, indem man die Kategorien ‘E-Mail’ und ‘Weblogs schreiben’ hinzufügt, kann man das als schulbezogene Produktion von schriftspachlichem Text verstehen. Nach den Daten der JIM-Studien 2006 bis 2008 schreiben die Jungen weniger E-Mails sowie weniger Weblogs als die Mädchen. Möglicherweise muss man diese Beobachtung sogar auf die Kategorien ‘Instant Messenger’, ‘Online Communities’ und ‘Chatten’ übertragen, bei denen es im Wesentlichen um die Produktion von mehr oder weniger langen Texten geht (abgesehen von der Pflege von Sozialkontakten). In den Jahren 2006 und 2007 wies die JIM-Studie für die Jungen im Bereich ‘Instant Messenger’ höhere Werte aus, in 2008 überholten die Mädchen die Jungen in dieser Kategorie. ‘Chatten’ wurde in 2006 von den Mädchen häufiger genutzt, die Jungen haben in den Jahren 2007 und 2008 die gleichen Werte wie die Mädchen. Die JIM-Studie hatte 2008 erstmals die Kategorie ‘Online-Communities’, die von den Mädchen häufiger genutzt werden. Wobei man diese Unterscheidung mit großer Vorsicht behandeln muss und nicht der Eindruck entstehen darf, die Jungen würden überhaupt keine schulbezogenen Informationen suchen oder Texte schreiben. Die Mädchen geben lediglich in diesen Kategorien höhere Werte ab.

Betrachtet man andere auf Textproduktion oder Informationssuche bezogenen Kategorien, in denen Jungen höhere Werte haben, wird die Abgrenzung und die Legitimierung einer schulbezogenen Suche bzw. Produktion deutlicher: In den Kategorien ‘Informationssuche nicht Schule’, Nutzung von ‘Suchmaschinen’, ‘Nachrichten/Aktuelles’, ‘Sport-Live-Ticker nutzen’ sowie beim Lesen und Schreiben in Newsgroups haben Jungen höhere Werte als Mädchen. Vor allem das Schreiben in Newsgroups, zusammen mit den anderen genannten lesenden Tätigkeiten, legt die Vermutung nahe, dass Jungen sehr wohl gezielt Informationen suchen und Texte produzieren, lediglich weniger in Bezug auf Schule, sondern eher in Bezug auf andere Bereiche der Lebens- und Alltagsbewältigung (und dies jeweils im Vergleich zu den Mädchen).

Insgesamt zeigt sich für die Jungen ein wesentlich breiteres Nutzungsspektrum der Online-Tätigkeiten als bei den Mädchen, und die Jungen haben in wesentlich mehr Kategorien höhere Werte als Mädchen. In Bezug auf Computerbesitz haben dabei die Jungen über die Jahre hinweg häufiger einen eigenen Computer als die Mädchen und nutzen häufiger das Internet. Dieser Unterschied ist ab der JIM-Studie 2009 als ausgeglichen anzusehen, wobei Mädchen im Jahr 2009 sogar etwas häufiger das Internet nutzen (Feierabend & Rathgeb, 2009, S. 32). In Bezug auf die Ausstattung gibt die JIM-Studie 2009 an, dass zumindest in allen Haushalten, in denen Jugendliche aufwachsen, ein Computer vorhanden ist und fast alle diese Haushalte (98 %) einen Internetanschluss haben (ebenda, S. 31).

4.1.1.3 Gaming und Spielkonsolen

Der vorangegangene Abschnitt macht deutlich, dass Spielen am und mit dem Computer – ob offline oder online – für Jungen eine sehr große Bedeutung im Alltag hat. In Bezug auf die Geräteausstattung spielen Jungen neben dem Computer auch auf Spielkonsolen, die etwa der Hälfte der Jungen zu Hause zur Verfügung steht. Dieser Wert hat sich nach Angaben der JIM-Studien in den letzten Jahren kaum verändert. Die JIM-Studien verzeichnen dagegen einen leichten Anstieg der tragbaren Spielkonsolen, sowohl bei den Jungen als auch bei Mädchen. Einschränkend muss man hierbei aber bemerken, dass

  • einige Jugendliche sicherlich sowohl eine stationäre als auch eine tragbare Konsole haben.

  • tragbare Spielkonsolen keine Neuheit sind und z. B. der sehr beliebte Nintendo-Gameboy in Europa bereits 1990 erstmals verkauft wurde.

  • moderne Smartphones die Leistungsfähigkeit von tragbaren Spielkonsolen haben, sich zum Spielen eignen und eine Abgrenzung daher eher schwerfällt.

  • der Markt der Spielkonsolen sehr komplex ist. Verlässliche Nutzungsdaten und Verkaufszahlen in Bezug auf Alter und Geschlecht sind praktisch nicht verfügbar. Im Alltag sind deutliche geschlechterspezifische Unterschiede in Bezug auf die Präferenz von Spielkonsolen und entsprechende Spiele spürbar. Genauere und detailliertere standardisierte Nutzungsdaten wären daher für die Forschung eine unerlässliche Grundlage.

Jungen spielen Computerspiele (begrifflich sind hierunter alle digitalen Spiele zu sehen, ob am PC, auf der Konsole oder dem Handy) zu Hause und bei Freunden. Sie spielen dabei sowohl alleine, offline oder mit anderen online. Lediglich das Spielen mit anderen an einem Offline-PC nimmt eine nachgeordnete Rolle ein (Feierabend & Rathgeb, 2009, S. 40).

In Bezug auf die Spielgenres, die Jungen bevorzugt spielen, weist die JIM-Studie 2009 für Jungen ein wesentlich breiteres Spektrum gegenüber den Mädchen aus.


Abbildung 23: Liebste Computerspiele und Spielgenres, bis zu drei Nennungen (Feierabend & Rathgeb, 2009, S. 42)

 

Der allgemeine Trend in Bezug auf Jungen ist die Präferierung von Actionspielen. Hierzu kann man die Genres Adventure-Shooter und Ego-Shooter zählen sowie Renn- und Fußballsimulationen. Auch in Bezug auf die Spielgenres sei wieder auf die funktionalen Zusammenhänge von genderspezifischen Genrevorlieben und Geräteplattformen hingewiesen. Die von den Mädchen präferierten Fun-Sport-Games und Denk-/Gesellschafts- sowie Kartenspiele beziehen sich vornehmlich auf die stationäre Spielkonsole Nintendo Wii. Diese Konsole ist aber rein technisch nicht in der Lage, die in Bezug auf Rechenleistung wesentlich aufwendigeren Action- und Simulationsspiele zu präsentieren. Bereits aus dieser Perspektive ergibt sich für die Jungen auch in Bezug auf die Hardware eine deutliche Affinität für den PC bzw. für rechenstarke Spielkonsolen wie die Microsoft Xbox360 oder die Sony Playstation 3. In Bezug auf tragbare Spielkonsolen vollzieht sich dieser Unterschied vor allem zwischen dem Nintendo DS (bzw. DSi) und der Sony Playstation Portable (PSP) als bevorzugtes Gerät der Jungen.

4.1.1.4 Handynutzung der Jungen

Bedeutsamer als bei Computern ist für die Handynutzung der persönliche Besitz. In dieser Perspektive ist die Ausstattung der Jugendlichen über die letzten Jahre hinweg immer besser geworden. Fast alle Jungen und Mädchen haben mittlerweile ein Handy. Wobei die Jungen hier zurückhaltender sind. Dies zeigen die JIM-Studien der letzten drei Jahre, die ausweisen, dass Jungen in den jeweiligen Jahren zu etwa 4 % weniger Handys haben als Mädchen. So haben in 2009 93 % der Jungen ein Handy (Feierabend & Rathgeb, 2009, S. 53).

Die typischen Anwendungen des Handys nutzen Jungen im Verhältnis zu den Mädchen eher zurückhaltend. Sie erhalten und schreiben weniger Kurznachrichten (SMS) und werden in etwas geringerem Ausmaß angerufen. Lediglich in der Kategorie ‘angerufen werden’ sind sie mit den Mädchen etwa gleichauf (vgl. dazu auch Döring u. a., 2005, S. 3f; Geser, 2006b; Ling, 2001, S. 10; Vincent, 2004, S. 5). Zudem fällt im Bereich Multimedia auf, dass Mädchen häufiger angeben, Fotos und Filme mit dem Handy herzustellen.

Der bereits für Computer und Internet als bedeutsam herausgestellte Bereich ‘Gaming’ ist für Jungen auch auf dem Handy relevant; und Jungen spielen auf dem Handy wesentlich häufiger als Mädchen.

Ein weiterer Bereich, der laut den JIM-Studien 2007, 2008 und 2009 für die Jungen im Kontext der Handyanwendungen bedeutsam zu sein scheint, ist es, MP3 mit Bluetooth zu verschicken. Mit dieser Funktechnologie tauschen oder überspielen Jungen Dateien über eine Distanz von bis zu 100 Metern von einem Handy zum anderen. Denkbar sind hier auch Anwendungsszenarien, in denen Dateien z. B. von einem Klassenzimmer in das andere übertragen werden können oder zwischen kleinen Freundesgruppen getauscht werden.

 


Abbildung 24: Nutzung verschiedener Handyanwendungen durch Jungen und Mädchen nach JIM 2007, 2008 und 2009 (eigene Auswertung)

 

In weitaus geringerem Maß aber ist das Surfen mit dem Handy für Jungen bedeutsam. Dies zeigt sich besonders in der JIM-Studie 2009. In diesem Jahr scheint für die Jungen erstmals auch das Abrufen von E-Mails mit dem Handy bedeutsam zu sein. Das Handy und die darauf installierten Anwendungen waren in den vergangenen Jahren für die Jungen zwar nicht irrelevant, jedoch schien es, außer dem Potenzial für Spiele und für das Versenden von Video- und Audio-Dateien per Bluetooth, den Jungen wenig für sie Spezifisches zu bieten. Im letzten Jahr hat sich die Ausstattung der Handys (Smartphones und PDAs inklusive) tiefgreifend geändert. Ebenso hat sich das Angebot der Vertragsprovider geändert. Handys haben zunehmend die Möglichkeit, drahtlos mit dem Internet Verbindung aufzubauen, sei es über WLAN (Wi-Fi) oder UMTS (3G). Viele Institutionen wie Schulen bieten mittlerweile kostenloses WLAN an, und Serviceprovider bieten für die Datenverbindung über UMTS günstige Tarife. Der Hinweis in der JIM-Studie 2009 auf die rapide steigende Beliebtheit des Internetzugangs für Jungen könnte ein für Jungen bedeutsames Muster offenbaren. Aus den Online-Tätigkeiten (siehe Kapitel ) stellte sich bereits für Jungen eine bestimmte Art der Informationssuche heraus, die sich eher entgegen gezielt schulischen Aneignungs- und Lernformen richtet. Ein ähnlicher Trend könnte sich hier in Bezug auf das Handy abzeichnen.

4.1.2 Mediennutzung der Hauptschüler und sozial Benachteiligter

Eines der großen Probleme bei der Identifikation und Beschreibung der Risikolerner ist die naheliegende, aber unstimmige Zusammenlegung der Gruppen der sozial Benachteiligten und der Hauptschüler. Die Vorauswertung in Kapitel ??? hat gezeigt, dass der überwiegende Teil der Hauptschüler den eher untereren Ausstattungsniveaus und sozialen Segmenten zuzuordnen ist. Deutlich machten das auch die PISA-Studien mit dem Ergebnis, dass die Hauptschule selbst möglicherweise nicht das zentrale Problem ist – vor allem nicht in Bundesländern wie Bayern oder Baden-Württemberg, wo die Hauptschulen und Hauptschüler vergleichsweise erfolgreich sind. Für die Erfassung des Zusammenhangs zwischen Risikolernern und Hauptschule ist daher einige begriffliche Vorsicht geboten und darauf hinzuweisen, dass in der Hauptschule besondere Problemlagen in relativ großer Häufung zusammenkommen. Diese Erkenntnis hat auch für den folgenden Abschnitt Gültigkeit. Nachdem im vorangegangenen Abschnitt einige zentrale Mediennutzungsmuster der Jungen zutage getreten sind, stehen nun die Mediennutzungsmuster sozial Benachteiligter im Zentrum. Das Problem hierbei ist, dass die Studien, die sich auf sozial Benachteiligte beziehen, fast geradlinig die Hauptschüler in den Blick nehmen – möglicherweise in Ermangelung präziserer Beschreibungsinstrumente. In Bezug auf die Beschreibung von Mediennutzungsmustern hat dies zur Folge, dass Nutzungsmuster der Hauptschüler aus Mittelschicht-Segmenten nicht klar von denen der Risikolerner zu trennen sind. Gleichzeitig wird verdeckt, dass Risikolerner und ihre Mediennutzungsmuster auch an der Realschule und am Gymnasium zu suchen sind.

Im Bewusstsein dieser Problematik scheint es trotzdem nötig und sinnvoll, die umfangreichen Daten der JIM-Studien 2006, 2007, 2008 und 2009 auch in Bezug auf Hauptschüler an dieser Stelle zu betrachten, da selbst die große Studie zur „Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche in benachteiligten Lebenslagen“ von Nadia Kutscher u. a. (2009) die Mediennutzungsdaten der Hauptschüler aus den JIM-Studien als Ausgangspunkt nimmt.

4.1.2.1 Eigene Geräte und Ausstattung jugendlicher Hauptschüler

Betrachtet man, wie die Jugendlichen mit eigenen Geräten ausgestattet sind, über mehrere Jahre hinweg, kann man generell eine immer besser und reichhaltiger werdende Ausstattung feststellen. Lediglich die Anzahl eigener Fernsehgeräte und externer DVD-Player ist insgesamt gleich geblieben bzw. leicht zurückgegangen (siehe Kapitel ).

Insgesamt angestiegen ist die Ausstattung Jugendlicher mit Computern und eigenen Internetzugängen, tragbaren und stationären Spielkonsolen und Digitalkameras sowie Handys und MP3-Playern.

Die herausragende Differenz in der Geräteausstattung in Bezug auf Schularten ist die relativ geringe Anzahl der Computer und Internetzugänge bei den Hauptschülern im Gegensatz zu den Gymnasiasten. Umgekehrt sind die Hauptschüler wesentlich besser mit Fernsehern und tragbaren sowie stationären Spielkonsolen ausgestattet. Eine Besonderheit stellen hier die Realschüler dar, die sowohl mit Computern und Internet als auch mit Spielkonsolen, Fernsehern und Digitalkameras vergleichsweise gut ausgestattet sind.


Abbildung 25: Eigener Gerätebesitz und Ausstattung Jugendlicher nach Schularten nach JIM 2006, 2007 und 2008 (eigene Auswertung)

4.1.2.2 Präferierte Fernsehsender der Hauptschüler

Der Fernsehsender PRO7 hat für Jugendliche insgesamt hohe Relevanz. Kein anderer Sender ist laut den JIM-Studien ähnlich beliebt. Öffentlich-rechtliche Sender haben für Jugendliche insgesamt sehr geringe Relevanz, lediglich einige wenige Gymnasiasten sehen die ARD.

In Bezug auf die Schularten Hauptschule, Realschule und Gymnasium gibt es kaum gravierende Unterschiede in den präferierten Fernsehsendern. Herausragend ist dabei, dass Hauptschüler PRO7 zwar ebenso als Lieblingssender angeben, dies aber nicht in dem großen Ausmaß wie die Gymnasiasten. Im Vergleich zu Realschülern oder Gymnasiasten sehen Hauptschüler eher die Sender RTL2, MTV, VIVA oder Super RTL. Hierbei muss man aber relativierend hinzufügen, dass diese Präferenzen nicht über alle drei Jahre, in denen die JIM-Studien diese Zahlen ausweisen, stabil sind. Der Sender MTV war nur im Erhebungsjahr 2006 für die Hauptschüler besonders interessant. RTL2 war nur in den Jahren 2006 und 2007 für Hauptschüler besonders bedeutsam, und Super RTL ist erst seit 2009 für Hauptschüler von Interesse.

Die Senderpräferenzen sind nach Angaben der JIM-Studien sowohl alters- als auch geschlechterspezifisch zu sehen. So wird mit zunehmendem Alter der Sender PRO7 immer interessanter. Zeichentrickserien sind für Jungen besonders bedeutsam, verlieren aber mit zunehmendem Alter auch für die Jungen an Bedeutung. Die Senderpräferenzen sind also eher bezogen auf bestimmte Formate und Sendungen, die über die Jahre hinweg den Wanderungsbewegungen der Sendungen und Sender unterliegen, was damit auch das eher diffuse Bild der präferierten Fernsehsender nach Schularten erklärt.

 


Abbildung 26: Präferierte Fernsehsender nach Schularten nach JIM 2006, 2007 und 2009 (eigene Auswertung)

 

In Bezug auf die Nutzungsdauer stellen die JIM-Studien von 2006 bis 2009 fest, dass 12- bis 19-Jährige immer weniger Zeit pro Tag für Fernsehen aufwenden. So berichtet die JIM-Studie 2006 eine durchschnittliche tägliche Sehdauer an den Werktagen von 106 Minuten (Feierabend & Rathgeb, 2006, S. 23). Dies reduziert sich kontinuierlich bis auf 98 Minuten in 2009 (Feierabend & Rathgeb, 2009, S. 27). Anzumerken ist hierbei, dass diese Zahlen die Angaben der Fernsehnutzungsforschung der GfK sind und von eigenen Einschätzungen Befragter unabhängig sind. Die JIM-Studien weisen in allen Jahren darauf hin, dass die Selbsteinschätzung der Befragten zu ihrer täglichen Fernsehdauer bis zu 30 Minuten über den Werten der GfK liegen. Die JIM-Studien beobachten auch in jedem Jahr, dass Hauptschüler ihre tägliche Fernsehdauer um bis zu 30 Minuten länger einschätzen als Gymnasiasten. Auch hier kann angenommen werden, dass sich die eigene Einschätzung der Nutzungsdauer durch die Hauptschüler möglicherweise von der der Gymnasiasten in der Weise unterscheidet, dass Gymnasiasten ihre Nutzungsdauer im Sinne einer sozialen Erwünschtheit eher etwas niedriger einschätzen und Hauptschüler die eigene Nutzungsdauer etwas länger einschätzen, als sie ohnehin ist.

Mit Blick auf Nutzungskonvergenz zwischen Internet und Fernsehen berichtet die JIM-Studie 2009 für die Hauptschüler einerseits, dass sie eine eher passive und strukturierte Fernsehnutzung bevorzugen (Feierabend & Rathgeb, 2009, S. 29). Dies zeigt sich daran, dass Hauptschüler eher den Aussagen zustimmen, „dass ich etwas präsentiert bekomme und nicht selbst suchen muss“ und „dass die Filme und Sendungen im Fernsehen immer zu einer ganz bestimmten Uhrzeit kommen“ (ebenda). Andererseits sind es auch die Hauptschüler, die am ehesten den Aussagen zustimmen, dass sie sich „ Filme/Fernsehsendungen oder Ausschnitte gerne im Internet“ ansehen und sie gerne im Internet auf den Seiten ihres Lieblingssenders surfen. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Hauptschüler durchaus eine starke Nutzungskonvergenz aufweisen und trotz ihres eingeschränkten Internetzugangs gezielt Fernsehangebot und Internet miteinander verschränken.

4.1.2.3 Computer und Internetnutzung der Hauptschüler

Für die Computer- und Internetnutzung der Hauptschüler scheint laut den JIM-Studien der Besitz eines Computers und das Vorhandensein eines Internetzugangs sehr prägend zu sein. Hauptschüler haben zwar in den letzten Jahren immer häufiger einen eigenen Computer und einen Internetzugang, trotzdem reicht ihre Ausstattung noch nicht an die der Gymnasiasten heran. Dementsprechend unterscheidet sich auch die Nutzung von Computer und Internet. Fast durchgängig berichten daher die JIM-Studien von 2006 bis 2009, dass Hauptschüler weniger häufig, dafür aber pro Sitzung länger vor dem Computer sitzen bzw. im Internet sind. Die JIM-Studie macht dies explizit auch daran fest, dass viele Befragte in der Kategorie Hauptschüler bereits im Beruf oder in Ausbildung sind (Feierabend & Rathgeb, 2006, S. 33). Daher unterscheidet sich der Tagesablauf der Hauptschüler, die bereits im Beruf oder in Ausbildung sind, sehr stark von den Schülern, die oftmals mehr Freizeit haben, die sich über längere Strecken des Tages verteilt. Schüler haben daher die Gelegenheit, öfter kurz ins Internet zu gehen. Hinzu kommt die bessere Ausstattung z. B. der Gymnasiasten, die durch größere Verfügbarkeit von Computer und Internet einen einfacheren Zugang haben und sich somit auch den Zugriff auf Computer und Internet in anderer Weise als berufstätige Hauptschüler einteilen können.

Mit Ausnahme des Jahres 2008 fällt von 2006 bis 2009 auf, dass die Hauptschüler hinsichtlich der Nutzung von Computer und Internet im Verhältnis zu den beiden anderen Schularten inhaltlich besonders das Spielen bevorzugen. Dieses Spielen muss man auch in Abgrenzung zu den weiteren inhaltlichen Tätigkeitskategorien sehen, nach denen die JIM-Studien in den jeweiligen Jahren fragten. So wurde in 2006 zwischen „Surfen im Internet“, „Spiele“ und „Lernen und Arbeit“ unterschieden. Der Anteil „Surfen im Internet“ entspricht in 2007 der Kategorie „Kommunikation“ und der Anteil „Lernen und Arbeit“ wurde zu „Informationssuche“. In 2008 kam zu diesen drei Kategorien die „Unterhaltung (z. B. Musik, Videos, Bilder)“ hinzu (Feierabend & Rathgeb, 2006, S. 35, 41; 2007, S. 41; 2008, S. 51; 2009, S. 33). An dieser Einteilung scheint nicht unproblematisch, dass die Studienreihe möglicherweise Informationssuche direkt und nur mit „ Lernen und Arbeit“ in einem schulischen Sinne verbindet. Umgekehrt kann man befürchten, dass der Begriff Informationssuche die Suche nach Begriffen und Zusammenhängen aus dem Alltag ausschließt. Dabei gilt es mitzubedenken, dass viele der Befragten der Kategorie Hauptschüler sich in Beruf oder Ausbildung befinden und oftmals keine direkte Notwendigkeit haben, sich lernend auf den nächsten (Schul-)Tag vorbereiten zu müssen, sondern lieber Entspannung und Ablenkung von einem möglicherweise körperlich harten Arbeitstag suchen. Insofern ist es nicht überraschend, wenn Hauptschüler den geringstem Anteil im Bereich Informationssuche haben und den höchsten Anteil im Bereich Spielen. Der Anteil an Kommunikation ist in etwa gleich hoch wie der der Realschüler und liegt nur wenig unter dem der Gymnasiasten. Die JIM-Studie 2009 macht in Bezug auf Hauptschüler deutlich, dass für diese, neben anderen Tätigkeiten, die Erstellung und Bearbeitung von Audiomaterial bis hin zum Zusammenstellen von Musik-CDs mit höheren Anteilen als für die beiden anderen Schularten besonders bedeutsam ist (Feierabend & Rathgeb, 2009, S. 37).

4.1.2.4 Spielenutzung der Hauptschüler

Digitale Spiele, ob online oder offline auf dem Computer oder auf tragbaren bzw. stationären Konsolen, sind für Hauptschüler von großer Bedeutung. Dies hängt sicherlich auch (aber nicht ausschließlich) mit dem etwas höheren Anteil an Jungen an der Hauptschule zusammen (siehe Kapitel ???). Die Nutzung von Computerspielen durch Jungen wurde in Kapitel diskutiert.

Obwohl die JIM-Studien speziell über die Spielenutzung der Hauptschüler nur wenige Daten veröffentlichen, machen die JIM-Studien 2008 und 2009 deutlich, dass man die Hauptschüler als Experten in Bezug auf Jugendmedienschutz und Computerspiele ernst nehmen sollte. So berichten die JIM-Studien 2008 und 2009, dass Hauptschüler, im Vergleich zu Befragten anderer Schularten, bisher am häufigsten Spiele genutzt haben, die jugendschutzrelevant sind und für die sie eigentlich zu jung waren (Feierabend & Rathgeb, 2008, S. 42; 2009, S. 43f). Dabei sind sich die Hauptschüler, zusammen mit den Realschülern, eher den Altersbegrenzungen bewusst und kennen die Alterseinstufungen der jeweiligen Spiele eher als die Gymnasiasten (Feierabend & Rathgeb, 2008, S. 41). Vier Fünftel der Gymnasiasten sind der Meinung, dass es sehr einfach sei, an solche ‘Killerspiele’ heranzukommen. Die Hauptschüler haben hier möglicherweise genauere Erfahrungen gemacht und geben daher nur zu etwas über der Hälfte an, dass es einfach sei, an solche Spiele zu gelangen (ebenda, S. 42). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich die Hauptschüler im Vergleich noch am ehesten mit den Eltern über ihre Spielenutzung absprechen. Dies bezieht sich sowohl auf die Absprache über die Art der Spiele als auch über die Dauer des Spielens (Feierabend & Rathgeb, 2009, S. 45).

4.1.2.5 Handynutzung der Hauptschüler

Mit sehr geringen Einschränkungen kann man für alle Schularten von einer Vollausstattung in Bezug auf Handygeräte sprechen (Feierabend & Rathgeb, 2009, S. 53). In Bezug auf die Hauptschüler ist aber interessant, dass sie in der JIM-Studie 2008 besonderen Wert auf die Multimedia-Ausstattung ihres Handys legen. Dies deckt sich mit den in der JIM-Studie 2009 aufgelisteten Handy-Funktionen, die besonders die Hauptschüler nutzen. Hierzu gehören vor allem „mit dem Handy Musik hören“, MP3 und Fotos/Filme mit Bluetooth verschicken sowie „mit dem Handy Radio hören“ und „mit dem Handy Nachrichtendienste empfangen“ (Feierabend & Rathgeb, 2008, S. 62; 2009, S. 56). Die JIM-Studie 2008 verweist hier auf die höhere Investition der Hauptschüler in Handys, wodurch die Autoren eine bessere Ausstattung erklären. Die Präferenz vor allem musikbezogener Funktionen und Anwendungen war aber auch schon in Kapitel ein Ergebnis jungenspezifischer Handynutzung.

Die JIM-Studien diskutieren in jeder Ausgabe auch die Kostenentwicklung und die Ausgaben der Jugendlichen für das Handy. So haben zwischen 2006 und 2008 etwa drei Viertel der Hauptschüler eine Prepaidkarte und ein Viertel einen monatlichen Handyvertrag. Die JIM-Studie 2008 gibt für die Hauptschüler an, dass sie in diesem Jahr monatlich etwa 21,21 EUR ausgaben, was mehr Geld ist, als die Befragten der anderen Schularten für ihr Handy ausgaben. Relativierend erklärt die JIM-Studie 2008, dass Hauptschüler aber im Durchschnitt mehr Geld zur Verfügung haben (etwa 40 % mehr als Gymnasiasten), da in dieser Gruppe auch diejenigen enthalten sind, die bereits in Beruf und Ausbildung sind und somit ein monatliches Einkommen haben (Feierabend & Rathgeb, 2008, S. 60).

Dieser intensivere handybezogene Konsum der Hauptschüler bringt aber auch finanzielle Risiken mit sich. So haben sich bereits 11 % der Hauptschüler mit dem Handy ernsthaft überschuldet und 20 % der Hauptschüler gaben an, schon einmal bei Zahlungsvorgängen für „Produkte und Dienstleistungen“ und insbesondere beim „Download von Klingeltönen und Spielen“ abgezockt worden zu sein (ebenda). Diese Tendenz bestätigt auch die JIM-Studie 2009, wonach 14 % der Hauptschüler 50 EUR oder mehr pro Monat für und mit dem Handy ausgeben und nur 19 % 10 EUR oder weniger ausgeben (Feierabend & Rathgeb, 2009, S. 54).

Neben dem Handy als Kostenfalle ist ein weiteres, in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema hinsichtlich der Mobiltelefone relevant: das Handy als Speicher- und Verbreitungsmedium für problematische, jugendschutzrelevante Inhalte wie z. B. Gewaltdarstellungen oder pornografische Inhalte. Die JIM-Studien greifen dieses Thema auf und berichten dazu in den jährlichen Ausgaben in den folgenden drei Kategorien:

  • Befragte haben davon gehört, dass Filme verschickt/empfangen wurden,

  • Befragte haben selbst schon einmal solche Videos bekommen,

  • Befragte haben die Erstellung von Gewaltvideos bzw. Filmen von Prügeleien per Handy (z. B. an der Schule) schon mal selbst mitbekommen oder gesehen.

Betrachtet man die JIM-Studien von 2006 bis 2009 ist die Zahl derer, die z. B. von Freunden gehört haben oder wissen, dass problematische Inhalte auf den Handys kursieren, und die Zahl derer, die selbst schon einmal problematische Inhalte auf ihr Handy bekamen, gleich geblieben. Die jüngeren Jugendlichen geben dies seltener an, und Mädchen geben dies ebenfalls seltener an. Der Blick fällt also hier auf die Jungen und auf die Hauptschüler, die solche Inhalte am ehesten kennen, da diese in ihrem Freundeskreis zirkulieren oder sie diese selbst erhalten haben.

Als problematisch stellt die JIM-Studie 2009 heraus, dass besonders Hauptschüler schon einmal mitbekommen haben, dass eine Prügelei mit dem Handy gefilmt wurde. Dabei versucht die JIM-Studie zwischen gestellten Szenen und tatsächlichen Prügeleien zu unterscheiden, kommt aber zum Ergebnis, dass im Fall der Hauptschüler fast siebenmal so viele tatsächliche Prügeleien gefilmt wurden wie gestellte (vgl. Feierabend & Rathgeb, 2009, S. 57f).

In den JIM-Studien wird unter der Rubrik „Problematische Inhalte“ sowohl nach brutalen Videos, Gewaltdarstellungen, Pornofilmen, ‘Happy-Slapping’ sowie nach Cyber-Mobbing gefragt. Daraus können sich einige Kritikpunkte und Problembereiche ergeben:

  • Die Diskussion um problematische Inhalte vermischt zu sehr unterschiedliche inhaltliche Formate, die an keiner Stelle bislang nüchtern präsentiert bzw. beschrieben sind.

  • Bei einer Befragung nach problematischen Inhalten wie Gewaltdarstellungen oder Pornografie ist es erfahrungsgemäß ratsam, kontrastierend und zur Kontrolle der Daten standardisierte Nutzungsdaten zum Vergleich heranzuziehen. Die Frage nach Gewaltdarstellungen und Pornofilmen in der PISA-Studie 2000 erwies sich im Vergleich dazu als fehlerhaft und ungenau (Bachmair u. a., 2005).

  • Hinzu kommt bei dieser Art von Fragen das Problem der sozialen Erwünschtheit der Antworten. Auf dieses Problem der Unschärfe weist bereits die JIM-Studie 2006 hin (Feierabend & Rathgeb, 2006, S. 54).

  • Ein weiteres Problem ist, dass unklar ist, „inwieweit die zum Zweck des Filmens inszenierten Prügeleien einen ernsten Hintergrund haben oder ‘nur’ Gewaltszenen nachgestellt werden“ (Feierabend & Rathgeb, 2007, S. 61). Damit nennt die JIM-Studie einen Teil des Problems. Ein weiterer steckt in der Ungewissheit, welche Bedeutung für die Jugendlichen das Filmen tatsächlicher Prügeleien hat. Es ist unklar, ob dieses Filmen eine eher dokumentarische oder voyeuristische und verletzende Bedeutung hat. Dabei ist ebenso unklar, wie diese Filme weiterverarbeitet oder weiterverbreitet werden und ob überhaupt.

Insgesamt steckt in diesem Bereich sehr große Ungewissheit und großer Forschungsbedarf. Resümierend bleibt zunächst festzuhalten, dass problematische Inhalte auf dem Handy für Jungen und für Hauptschüler eine bestimmte Bedeutung haben und wahrscheinlich funktional, vor allem in schulischen Alltag und in den Alltag mit den Peers, eingebunden sind.

4.2 Der Lifestyle Risikolerner: Analyse der Lebenswelt und Mediennutzung der Risikolerner

Der vorangegangene Abschnitt stellte anhand der JIM-Studien der Jahre 2006 bis 2009 prägnante Mediennutzungsmuster der Jungen und der Hauptschüler vor. Dabei stellte sich für die Jungen heraus, dass sie mit dem Computer breit gefächert aktiv sind und produzieren, wobei diese Aktivitäten eher entgegen den üblichen schulischen Aneignungsweisen ablaufen und nicht gezieltes Lernen im schulischen Sinne bedeuten. Jungen und Hauptschüler stellen sich klar und deutlich als Experten für Computerspiele heraus. Dies bezieht sich besonders auf Actionspiele und ist nicht hardware- oder plattformspezifisch.

Um die Lebenswelt und die Mediennutzungsmuster präziser zu beschreiben, ist aber ein genauerer Blick notwendig. Theorien der sozialen Segmentierung, besonders mit den Dimensionen der Werteorientierung und des Ausstattungsniveaus, machen dies möglich. Bereits die Vorauswertung in Kapitel Fehler: Referenz nicht gefunden machte dabei deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Besuch bestimmter Schularten und sozialer Segmentierung gibt sowie dass es Zusammenhänge zwischen Alter und sozialer Segmentierung gibt. Ein Ergebnis für Risikolerner war dabei, dass Hauptschüler besonders im unteren Ausstattungsniveau zu finden sind und deren Werteorientierung, wie bei einem Drittel der Jugendlichen insgesamt, eher auf Multioptionalität, Reorientierung und Hedonismus ausgerichtet ist. Die Erweiterung dieser Vorauswertung macht zudem die Relevanz des hedonistischen Segments für die Jungen deutlich.

 


Abbildung 27: Gender, Schüler und Schulabschlüsse nach sozialen Segmenten in Deutschland (Eigene Auswertung nach: MDS online, 2008)

 

Im Jahr 2007/2008 wies die VerbraucherAnalyse noch 0,4 % der 14- bis 24-Jährigen dem Konsum-Materialistischen Milieu zu, das damit das Gegenstück zum Liberal-Intellektuellen Milieu mit einem Anteil von 0,1 % bildete. Wo das Konsum-Materialistische Milieu durch die Jungen aus der Hauptschule geprägt ist, besteht das Liberal-Intellektuelle Milieu nur aus Mädchen mit Abitur (MDS online, 2008).

Im Jahr 2009 wies die VerbraucherAnalyse (MDS online, 2010) dem Konsum-Materialistischen und Liberal-Intellektuellen Milieu keine 14- bis 24-Jährigen mehr zu, wodurch sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nur noch auf fünf soziale Segmente aufteilen. Auffällig ist die große Relevanz der drei Segmente Hedonistisches Milieu, Modernes Arbeitnehmermilieu und Postmodernes Milieu, in absteigender Reihenfolge, wobei alle drei Segmente im jeweils äußersten Drittel der Wertorientierung und Modernisierung liegen.

Bereits an diesen drei Segmenten kann man deutlich die soziale Mobilität erkennen, die sich allein schon aus dem Alter der Befragten ergibt. Wenn man annimmt, dass jüngere Befragte eher noch Schüler sind als die älteren Befragten, so gibt es im Hedonistischen Milieu den größten Anteil an Schülern, der auf der Achse des Ausstattungsniveaus in Richtung des Postmodernen Milieus abnimmt. Im Gegensatz dazu gibt es im Postmodernen Milieu die meisten Abiturienten. Zusammen mit der VerbraucherAnalyse von 2007/2008 muss man das Konsum-Materialistische Milieu und Liberal-Intellektuelle Milieu hinzudenken, da auch diese Milieus erst nach der Schulausbildung relevant werden. Der Gedanke von Schule als Ort sozialer Nivellierung bzw. der Gedanke an ein Auseinanderdriften sozialer Segmente in der Folge von Schulabschlüssen liegt hierbei nahe.

 

Tabelle 3: Quantifizierung von Gender, Schülern und Schulabschlüssen nach sozialen Segmenten (Eigene Auswertung nach: MDS online, 2010)

 

In der aktuellen Auswertung und in Bezug auf die Risikolerner sind die sozialen Segmente des untersten Ausstattungsniveaus und dabei speziell die Jungen relevant. Die VerbraucherAnalyse 2009 macht dabei die hohe Relevanz des Hedonistischen Milieus speziell für die Jungen deutlich. Nicht nur wurden dem Hedonistischen Milieu insgesamt mehr Jungen zugeordnet, sondern sind auch in Bezug auf die jeweiligen Schulabschlüsse (mit Ausnahme der Realschule), inklusive der Schüler, mehr Jungen diesem sozialen Segment zuzuordnen. Den größten Jungenanteil an diesem Segment haben jedoch die Hauptschüler.

 


Abbildung 28: Quantifizierung von Gender, Schülern und Schulabschlüssen nach sozialen Segmenten (Eigene Auswertung nach: MDS online, 2010)

 

Die folgende Analyse unterscheidet die traditionellen Milieus, die prinzipiell das gesamte untere Drittel des Ausstattungsniveaus zusammenfassen, und andererseits die Hedonistischen Milieus. Diese Aufteilung ergibt sich aus der Parallelisierung der unterschiedlichen Milieumodelle von Sinus, SIGMA, Gunnar Otte und anderen. Sie alle formulieren unterschiedliche Aufteilungen für traditionelle Segmente im unteren Bereich. Einig sind sie sich jedoch in der begrifflichen Zuschreibung eines Hedonistischen Milieus, das in dieser Analyse daher, und wegen des hohen Anteils der Jugendlichen in diesem Segment, getrennt betrachtet wird.

Wie in den vorangegangenen Kapiteln entfaltet, geht es zum einen darum, Risikolerner als eine Art Lebensstil bzw. kulturelle Haltung zu erfassen. Es geht zudem darum, spezifische Risiken der Risikolerner herauszuarbeiten, die in den jeweiligen sozialen Segmenten mitgetragen werden und in ihnen inhärent sind. Dazu gehören passive Risiken, wie z. B. die soziale Benachteiligung, die das deutsche dreigliedrige Schulsystem mit sich bringt. Dazu gehören aber auch aktive Risiken, wie das Risikoverhalten bestimmter männlicher Jugendlicher. Die Vermutung ist, dass gerade das aktive Risikoverhalten ein Teil des Lebensstils der Hedonisten ist. Teile der folgenden Analyse wurde bereits in Pachler u. a. (2010, S. 266–271) sowie auf Dänisch veröffentlicht (Rummler, 2010a).

4.2.1 Traditionelles und konsummaterialistisches Segment

4.2.1.1 Demografie und Lebenswelt

4.2.1.1.1 Demografie

Die traditionellen und konsummaterialistischen Segmente sind nach der Benennung des Sinus-Modells bis einschließlich 2009 die ‘Traditionsverwurzelten’ und die ‘Konsum-Materialisten’ bzw. nach der SIGMA-Benennung das ‘Traditionelle Arbeitermilieu’ und das ‘Konsummaterialistische Milieu’. Ab dem Jahr 2010 nennt Sinus dieses Segment ‘Prekäres Milieu’.

Die traditionellen Segmente Traditionsverwurzelte bzw. Traditionelles Arbeitermilieu sind hier nur aufgrund der Lage im unteren Ausstattungsniveau relevant. Für die Analyse der Lebenswelt und der Mediennutzungsdaten sind sie nur von sehr geringer Relevanz, da die Angaben und Datengrundlagen zu diesem Segmenten zu divergierend sind. Das SIGMA-Institut weist dementsprechend dem Traditionellen Arbeitermilieu etwa 5 % der Bevölkerung zu (Ascheberg, 2005, S. 4). Sinus fasst die Traditionsverwurzelten wesentlich umfangreicher und weist diesem Segment ca. 13 % der Bevölkerung zu (Dannhardt & Nowak, 2007, S. 5). Da sich in diesem Punkt der Zuordnung zu einer sozialen Lage die beiden Milieumodelle von Sinus und SIGMA stark unterscheiden, sind die beiden traditionellen Segmente auch kaum parallelisierbar. Dennoch ist dieses Segment aus pädagogischer Sicht relevant, da die KIMStudie 2006 diesem Segment ca. 2 % Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren zuordnet (Feierabend & Klingler, 2007, S. 494) und das Sinus-Institut ca. 4 % der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren als Traditionelle einstuft (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 119). Dabei sei einschränkend angemerkt, dass die traditionellen Jugendlichen aufgrund ihrer Bildungsbeteiligung an Realschulen und Gymnasien nicht zu den Risikolernern im engeren Sinn gehören.

Die traditionellen Milieus haben einen hohen Altersdurchschnitt von etwa 70 Jahren und sind meist Überlebende des Zweiten Weltkriegs und damit überwiegend Frauen (vgl. Dannhardt & Nowak, 2007, S. 14). Ihr Lebensstil bzw. ihre Lebenswelt ist geprägt von der Erhaltung traditioneller Werte, Moral und Disziplin. Sie suchen den Status quo und ihre aktuelle gesellschaftliche Position zu erhalten. Sie sind einfache Arbeiter, Angestellte und Landwirte, die in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Anerkennung suchen. Sie leben daher im nahen Umfeld ihrer angestammten Heimat und haben nur einen kleinen räumlichen Aktionsradius. Ihr Konsummuster ist eher geizig und zurückhaltend (ebenda).

Die konsummaterialistischen Segmente von Sinus und SIGMA sind dagegen wesentlich besser parallelisierbar, und beide Institute weisen diesem Milieu ca. 11 % der Bevölkerung zu (Ascheberg, 2005, S. 4; Dannhardt & Nowak, 2007, S. 5), mit einem breit gefächerten Altersspektrum und einer ausgeglichenen Geschlechterverteilung. Auch der Anteil der Kinder und der Jugendlichen, der auf dieses soziale Segment entfällt, entspricht jeweils etwa 11 % (Feierabend & Klingler, 2007, S. 494; C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 210). Lediglich die VerbraucherAnalyse nach dem SIGMA-Modell weist diesem Segment in 2007/2008 nur 0,4 % der 14- bis 24-Jährigen zu (MDS online, 2008). Ungeachtet dieser divergierenden Zahlen ist dieses Segment gerade wegen der ausschließlichen Beteiligung an der Hauptschule und wegen des hohen Anteils männlicher Jugendlicher pädagogisch hoch relevant in Bezug auf Risikolerner.

4.2.1.1.2 Die Lebenswelt der jugendlichen Konsummaterialisten

Das soziale Segment der Konsummaterialisten im mittleren Bereich der Unterschicht auf der Landkarte des sozialen Raums ist von zwei wesentlichen Grundtendenzen geprägt. Einerseits geht es darum, durch Konsum Anschluss oder wenigstens Nähe zur bürgerlichen Mitte zu finden, und andererseits, die schwierige finanzielle Lage und den Kampf um das tägliche Leben zu bewältigen. Sie sehen sich häufig als Verlierer der Gesellschaft, als Ausgeschlossene und haben das Gefühl der Benachteiligung. Das entspricht dem subjektiven Exklusionsempfinden, das Bude und Lantermann (2006) beschrieben, wonach sich Menschen als eher wert- oder nutzlos in der Gesellschaft empfinden. In diesem Milieu ist ein deutliches Underdog-Bewusstsein vorherrschend, wobei die Konsummaterialisten der Meinung sind, „unverschuldet auf der Schattenseite der Gesellschaft zu stehen“ (Liebenwein, 2008, S. 180). Diese soziale Benachteiligung bzw. das Gefühl, benachteiligt zu werden, hängt auch mit der hohen Arbeitslosigkeit und den niedrigen Bildungsabschlüssen in diesem Milieu zusammen.

 

Orientierung in der Lebenswelt und die Perspektiven der Konsummaterialisten

Die jugendlichen Konsummaterialisten versuchen, sich selbst zu versorgen, unabhängig von den Eltern, auf deren finanzielle Unterstützung sie nicht zu hoffen brauchen. Anders als es Vester (2006a) beschrieben hat, streben sie weniger nach beruflicher Sicherheit im Sinne von „Lieber ein schlechter Realschüler als ein besserer Hauptschüler“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 212). Sie streben danach, es einmal besser zu haben und sozial aufzusteigen, und geben an, lieber auf die Realschule zu gehen als auf die Hauptschule. Dabei stehen sie unter dem Druck durch ein Mindestmaß an qualifizierten Bildungsabschlüssen ihre finanzielle Lage zu sichern, was letztlich nur über Lohnarbeit realisierbar ist. Gerade diese Lohnarbeit hat sich jedoch strukturell in den letzten Jahren zu Ungunsten der Konsummaterialisten verändert. Sie sind „besonders von der Auslagerung von Massenproduktion in Niedriglohnländer und von der Entstehung eines Niedriglohnsektors bei uns“ betroffen (Vester, 2001, S. 42). Mit diesem Druck und der Angst, durch die prekäre finanzielle und berufliche Lage immer weiter nach unten zu rutschen, versuchen die Konsummaterialisten, sich zu vergewissern, dass es gesellschaftliche Gruppen gibt, denen es noch schlechter geht und die noch weiter unten stehen als sie selbst. Diese Abgrenzung nach unten bezieht sich auf „uncoole Bauern“ oder Ausländer (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 221) sowie auf Homosexuelle (Liebenwein, 2008, S. 183, 191f). In der Öffentlichkeit wird diese Abgrenzung dann auch nicht selten handfest körperlich durch Schlägereien ausgetragen (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 225).

Nach den schlechten Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt und den schlechten Erfahrungen in ihrer Bildungskarriere bedeutet für sie Arbeit und Bildung „eher Mühsal und Belastung, die aus purer Notwendigkeit ertragen“ werden (Flaig u. a., 1993, S. 63). Zu Bildungsinstitutionen haben sie eine spürbare Distanz entwickelt, und Bildung als solche bzw. Gebildet-Sein bedeutet für sie Lebensferne. Bildung ist etwas, das die „besseren Leute“ (Barz, 2000, S. 91) auszeichnet und abgrenzend eine soziale Schicht beschreibt, die für die Konsummaterialisten unerreichbar scheint.

Die generelle Abgrenzung nach unten und die auf Bildung bezogene Abgrenzung nach oben stehen in einem gewissen Widerspruch zur Orientierung der Konsummaterialisten am bürgerlichen Mainstream der Gesellschaft. Diese Orientierung an der Mitte kann man an ihrer hohen Konsum- und Prestigeorientierung und an der Orientierung an traditionellen Werten und Rollenbildern erkennen. Man wünscht sich dabei ein komfortables Leben und träumt vom plötzlichen Reichtum. Für die Lebenspraxis bedeutet das aber die Suche nach Harmonie und nach einem stabilen Alltag außerhalb der unsicheren Arbeit und Schule. Dies beinhaltet den „Wunsch nach einer heilen Familie und einem intakten Freundeskreis“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 211), die Suche nach Akzeptanz und Anschluss, die Verdrängung der Zukunft und die Konzentration auf das Hier und Heute (vgl. bspw. Merkle & Wippermann, 2008, S. 163; Tippelt u. a., 1996, S. 105).

 

Lebenswelt geprägt von Sicherheit und Unsicherheit

Die Konsummaterialisten leben in einem enormen Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Unsicherheit. Hierzu äußern vor allem die weiblichen Jugendlichen den „Wunsch nach einer heilen Familie“, also den Wunsch nach einer Art familiärer Sicherheit. Sowohl die Jungen als auch die Mädchen stehen in der Unsicherheit, teilweise nur einen Elternteil zu haben, sich nicht finanziell auf die Eltern, die häufig beide arbeitslos sind, verlassen zu können. Für die Mädchen und jungen Frauen bietet des Weiteren das Stereotyp der braven Hausfrau Sicherheit. Sie übernehmen zunächst Pflichten im Haushalt, kümmern sich um Geschwister und erledigen Einkäufe. Später wollen sie dann „einen Mann ‘abkriegen’, für diesen attraktiv sein und eine Familie haben“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 213). Dies entspricht einem Bild von heiler Familie, welche diese Jugendlichen häufig selbst nicht haben bzw. erlebt haben und das man üblicherweise im gesellschaftlichen Mainstream vermuten würde, zu dem die Konsummaterialisten möglicherweise Nähe suchen. Für die Jungen gilt dagegen: „cool sein“, „hart sein“, „ überlegen sein“ (ebenda). Dieses Männerbild kann man vor den Hintergrund des Familienwunsches der jungen Frauen stellen. Die Konsummaterialisten haben keine großen Chancen, beruflich viel Geld zu verdienen. Für die Mädchen und jungen Frauen steht mit dem Familienwunsch fast gleichzeitig eine Art Berufswunsch fest. Die finanzielle Verantwortung, eine Familie zu ernähren, verlagern sie damit auf die Männer, die aber aufgrund der geringen Ressourcen (Bildung, Startkapital, soziale Herkunft etc.) sich sehr anstrengen müssen, um diesen Erwartungen gerecht zu werden. Dies bedeutet für die Frauen und Männer eine Spannung und Unsicherheit sowie den zusätzlichen Druck auf die Männer, für die ökonomisch-technische Welt jederzeit, „weil nicht weiblich-reproduktiv gebunden“ (Böhnisch, 2004, S. 38), verfügbar zu sein. Für die Konsummaterialisten gilt auch hier die Suche nach Sicherheit in stereotypen Rollenvorstellungen von guten Müttern und Hausfrauen sowie Männern, die durch Erwerbsarbeit die Familie sichern.

Die scheinbar unauflösbare Spannung zwischen der Suche nach Sicherheit und der Bedrohung durch Unsicherheit spiegelt sich in weiten Teilen des Lebensstils der Konsummaterialisten wider. Sie müssen täglich um ihr Überleben kämpfen, indem sie die „ Anforderungen des Berufs und der Familie bewältigen, den Job nicht verlieren, nicht krank werden, nicht unter das Existenzminimum fallen, nicht sozial abstürzen“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 209). Gleichzeitig wollen sie als normale Durchschnittsbürger anerkannt werden und demonstrieren Selbstsicherheit, die in Angst vor Autoritäten, z. B vor Vorgesetzten, umschlägt, sobald sie unsicher werden und sich „auf fremdem Terrain bewegen müssen“ (ebenda, S. 212).

 

Erzwungene Selbständigkeit nach dem frühen Ende der Kindheit

Der Lebensstil der Konsummaterialisten impliziert ein frühes Ende der Kindheit bzw. Jugend. In der Familie haben sie viele Konflikte zwischen den Eltern mitbekommen, haben Trennungen und Brüche erlebt. Sie wachsen häufig in Familien und Verhältnissen auf, die sie zwingen, schnell selbständig zu werden, und haben dadurch eine wesentlich kürzere Kindheit und Jugend als andere junge Menschen. Vor allem in Bezug auf die Eltern berichten die Konsummaterialisten, dass sie von ihnen alleingelassen wurden, sei es in Bezug auf Hausaufgaben, in Bezug auf finanzielle Unterstützung z. B. für Freizeitaktivitäten oder Nachhilfeunterricht oder in Bezug auf körperliche Nähe und Zuneigung. Für die überforderten Eltern(teile) mussten sie häufig Verantwortung übernehmen und „z. B. für kleinere Geschwister, für den Vater kochen“ (Barz, 2000, S. 71).

Das frühe Ende einer beschützten Kindheit zwingt die Konsummaterialisten, früh erwachsen zu sein und eine bestimmte, auch energische Selbständigkeit zu entwickeln. Dies ist einerseits wieder im Zusammenhang mit der Spannung aus Sicherheit und Unsicherheit zu sehen und andererseits geht es ganz konkret darum, den Alltag bereits früh selbst organisieren zu müssen. Dabei geht es darum, sich selbst zu versorgen, den Tagesablauf zu organisieren, die Schule, die Freizeit und Freundeskontakte selbst zu organisieren (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 211). Diesen Zwang zur Selbstorganisation muss man sicherlich im Zusammenhang mit Alleingelassen -Sein sehen, vornehmlich durch die Eltern. Dies schlägt für die Konsummaterialisten in ein spürbares Selbstbewusstsein um, besonders bei den Jungen, die sich – „insbesondere, wenn sie in Gruppen unterwegs sind“ – demonstrativ als selbstbewusst darstellen (ebenda). Durch andere lassen sie sich dabei nicht viel sagen, und ihre Persönlichkeit wird häufig als kaum veränderbar erlebt (Barz & Tippelt, 2004a, S. 133; Liebenwein, 2008, S. 180). Dieses Selbstbewusstsein, das die Verarbeitung und Kompensation von Ausgrenzung bedeuten könnte, bringt für die Konsummaterialisten zum einen eine Art heimlichen Lehrplan mit sich, der bedeutet, sich durchzuboxen und es trotz aller Widrigkeiten zu schaffen (Barz, 2000, S. 72). Zum anderen impliziert diese Selbständigkeit und das gemeinsame Underdog-Bewusstsein der Konsummaterialisten eine gewisse Solidarität untereinander in der Form eines „speziellen Ehrenkodex“ , wonach man „Schwächere verteidigt“ (ebenda).

Das Auf-sich-gestellt-Sein und das daraus entwickelte Selbstbewusstsein haben auch eine pädagogisch bedeutsame und fruchtbare Dimension. So sind die „eingeübten Strategien der flexiblen Gelegenheitsorientierung“ (Vester, 2001, S. 92) der Konsummaterialisten, „ihre Fähigkeit zu Spontaneität und Improvisation, ihre Flexibilität bei der Suche nach Gelegenheiten, ihr Gefühl für herzliche menschliche Beziehungen, ihr körperliches oder sportliches Können und ihre Fähigkeit, mit chaotischen Bedingungen und Schicksalsschlägen umzugehen“ (ebenda, S. 523), möglicherweise als Folge des Auf-sich-gestellt-Seins und des daraus entwickelten Selbstbewusstseins zu sehen. Besonders in Bezug auf Arbeit und die eigene finanzielle Absicherung nutzen sie „das System des Gelegenheitserwerbs virtuos“ (ebenda, S. 93) und haben „Erwerbsstrategien außerhalb der Normen, nicht nur der ‘Schwarzarbeit’, die durchaus ihre handwerkliche Ehre hat“ (ebenda, S. 94), entwickelt, wodurch die Konsummaterialisten „auf die neue soziale Unsicherheit besser vorbereitet [sind; K.R.] als manche anderen Milieus“ (ebenda, S. 92). Diese flexible Gelegenheitsorientierung gilt es in pädagogischen Kontexten ermutigend und fördernd aufzugreifen, um zu verdeutlichen, dass die Lebensperspektive dieser benachteiligten Jugendlichen nicht völlig ausweglos und versperrt ist, sondern durchaus Chancen und Perspektiven bietet.

 

Finanzielle Ressourcen

Die Konsummaterialisten kann man allgemein in Bezug auf ihren Umgang mit Geld und ihre finanziellen Ressourcen als überfordert beschreiben: Den Themen Geld und finanzielle Planung stehen sie sehr frustriert und resigniert gegenüber. Ihr kleines Budget reicht selten aus und es ist schwer für sie, über die Runden zu kommen (Kassow, 2005, S. 7f; Sinus Sociovision GmbH, 2004, S. 26f).

Die knappen finanziellen Ressourcen der Konsummaterialisten stehen in Diskrepanz zu ihren spontanen und ungeplanten Käufen von prestigeträchtigen Konsumartikeln, insbesondere Unterhaltungselektronik. Allgemein leben sie häufig über ihre Verhältnisse und verschulden sich oftmals (Liebenwein, 2008, S. 180), um durch sichtbare Merkmale der bürgerlichen Mitte etwas näherzukommen.

Dabei sind ihre Wünsche und Ziele „oft unrealistisch und überdimensioniert“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 234); sie träumen „vom ‘besonderen Leben’ (Geld, Luxus, Prestige), von plötzlich auftauchenden großen Chancen“ (Merkle & Wippermann, 2008, S. 161) oder sie träumen beispielsweise davon, „eine fette [Kfz-Werkstatt; K.R.] mit großer Tanke vorne dran“ zu besitzen, statt realistischerweise „eine kleine KfzWerkstatt aufzumachen“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 234).

4.2.1.1.3 Der Lifestyle der Konsummaterialisten

Der Lifestyle der Konsummaterialisten ist auf Sichtbarkeit, Anerkennung und Annäherung an den Mainstream ausgerichtet. Sie sind in ihrem Konsumverhalten spontan, greifen recht schnell neue Moden und Trends auf, wobei sie auf das Prestige hoffen, das eine auffällige, üppige und bunte Hülle ihnen verspricht. Dabei geht es nicht nur um Kleidung, sondern auch um andere Dinge, die man vorzeigen kann, z. B. Modifikationen am eigenen Körper oder Unterhaltungselektronik (vgl. bspw. Merkle & Wippermann, 2008, S. 163).

Ihr Lebensstil ist eher freizeitorientiert, nicht zuletzt wegen der großen Distanz zu Bildungsinstitutionen und der hohen Arbeitslosigkeit. Ihnen wird ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Ablenkung, Unterhaltung, Action und Spaß zugeschrieben. Sie gehen gerne mit Freunden in Kneipen, zu Fußballveranstaltungen oder zum Einkaufsbummel, wobei es hier aufgrund des knappen Budgets eher beim Schaufensterbummel bleibt.

Die prekäre Situation der Konsummaterialisten am unteren Rand der Gesellschaft auf der Suche nach Anschluss in die gesellschaftliche Mitte wird am Beispiel ihrer Modepräferenzen deutlich. In dieser Perspektive zeichnen sie sich durch eine gezielte Markentreue aus. Sie achten darauf, Kleidung zu kaufen, auf denen ein bekannter Markenname sichtbar ist. Die Darstellung dieser bekannten Marken bietet vermeintliche Sicherheit, durch die Annahme, dass andere diese Marke ebenfalls kennen und schätzen. Diese bekannten Marken stehen auch dafür, viel Geld zu kosten, das eher die mittleren Segmente haben. Daher ist es für die Konsummaterialisten auch nicht entscheidend, ob die Kleidung echt oder gefälscht ist (vgl. insbes.: C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 224). Im Vordergrund steht der Markenname, der Teil der Konstruktion der Milieuzugehörigkeit ist und einen näher an die Mittelschicht bringt, wodurch man sich von denen abgrenzt, die noch weiter unten stehen, sich möglicherweise nicht einmal die gefälschte Kleidung leisten können bzw. nicht einmal die entsprechenden Marken kennen. Die Konsummaterialisten gehen andererseits keine Risiken bei der Markenauswahl ein. Sie versuchen, kein Risiko einzugehen, eine Marke zu kaufen, die möglicherweise nicht die erhoffte Anerkennung liefert (vgl. ebenda). Jeder Einkauf von Kleidung wird also für diese Jugendlichen von vornherein zum riskanten Konsum, der eine finanzielle Verschuldung und eine Ausgrenzung aus der Peer-Group bedeuten kann.

 

Freizeitaktivitäten

Die Freizeitaktivitäten der Konsummaterialisten geben weiteren Aufschluss über deren Lebenswelt und Lebensstil. Für die 6- bis 13-jährigen Kinder in diesem sozialen Segment steht im Milieuvergleich das ‘Drinnenspielen’ an vorderster und beliebtester Stelle, gefolgt von ‘malen/zeichnen/basteln’, das in (Liebenwein, 2008, S. 184, 194, 195) mit künstlerischer Betätigung in Verbindung gebracht wird und mit der Verbundenheit der Konsummaterialisten mit dem Handwerk in Zusammenhang steht. Das Basteln zu Hause bietet für die Eltern auch eine kostengünstige Möglichkeit, die Kinder gerade in dieser handwerklichen Betätigung zu fördern.

Im Milieuvergleich machen die 6- bis 13-jährigen Kinder im Segment der Konsummaterialisten neben den Hedonisten am wenigsten gerne Hausaufgaben oder lernen, gleiches gilt für ‘draußen spielen’. Ebenso wenig wie die Postmaterialisten treffen sie sich mit Freunden oder ruhen sich aus. Im Milieuvergleich am seltensten spielen sie mit Haustieren, beschäftigen sich mit der Familie bzw. den Eltern oder treiben Sport (alle Angaben aus: Feierabend & Klingler, 2007, S. 495).

Speziell die männlichen Konsummaterialisten zwischen 14 und 24 Jahren nennen Fahrradfahren als ihre bevorzugte Freizeitbeschäftigung. Wobei das Fahrrad möglicherweise ihr einziges, weil billigstes, Fortbewegungsmittel ist. Sie machen alle verschiedenste körper- und kraftbetonte Sportarten wie Fitness, Bodybuilding und Kampfsport. Nur wenige von ihnen erwähnen Fußball, Skifahren, Rennen/Laufen oder Schwimmen.

Im Gegensatz dazu besuchen alle gerne Fußballspiele und sind alle gerne mit Freunden zusammen. Sie mögen alle Musikhören und Fernsehen, wobei nur wenige (unter 10 %) Zeitschriften lesen, DVDs anschauen, Popkonzerte besuchen, auswärts essen, auf Partys gehen, Kneipen oder Discos besuchen.

Ihre Musikpräferenzen konzentrieren sich auf deutsche und internationale Pop- und Rockmusik. Sie orientieren sich stark an den aktuellen Charts, inklusive Hip-Hop und Rap mit Künstlern und Texten, die soziale Missstände und Ungerechtigkeiten thematisieren und damit Nähe zur eigenen Lebenswelt haben (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 221).

Als Zukunftsperspektive ist den männlichen Konsummaterialisten zwischen 14 und 24 Jahren wichtig, viele Freunde zu haben, Familie und Partnerschaft, finanzielle Unabhängigkeit, beruflichen Erfolg zu haben, sich etwas leisten zu können, eine sichere Zukunft zu haben und attraktiv zu sein. Die meisten wünschen sich, Kinder zu haben, offen zu sein für neue Dinge, einen unbefristeten Arbeitsvertrag, in einer gesunden Umwelt zu leben, eine gute (Berufs-)Ausbildung zu haben, Urlaub zu machen, Sicherheit in eigenen Land, in einer schönen Wohnung oder einem schönen Haus zu leben, sportlich aktiv zu sein und gesund zu essen. Nur wenige von ihnen erwägen Selbstentwicklung, viel Freizeit zu haben, von Zeit zu Zeit rumhängen, für einen persönlichen Gewinn viel zu leisten, Spaß und Action, viele Erfahrungen zu machen und gute Allgemeinbildung als wichtige Dinge im Leben (Soweit nicht anders angegeben, alle Angaben aus: MDS online, 2008. Eigene Auswertung).

4.2.1.2 Bildungskarrieren und Annahmen über Bildung und informelles Lernen

4.2.1.2.1 Bildungskarrieren

Die Bildungskarrieren und Bildungsabschlüsse der Konsummaterialisten sind geprägt von abgebrochenen Schul- und Berufsausbildungen sowie von Hauptschule. Ungeachtet der divergierenden Angaben zur Bildungsbeteiligung in den einzelnen Studien bezieht sich dieser Trend sowohl auf die Erwachsenen als auch auf Kinder und Jugendliche dieses sozialen Segments (Feierabend & Klingler, 2007, S. 495; MDS online, 2008; Vester, 2006a, S. 12). Auch wenn sich die Jugendlichen durchaus bewusst sind, dass der Grad des formalen Bildungsabschlusses für sie einen deutlichen sozialen Aufstieg bedeuten würde und sie, wenn sie einmal eine Realschule besuchen, den Abstieg in die Hauptschule auf jeden Fall vermeiden würden (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 212), wagen die Eltern an eine gymnasiale Schulkarriere ihrer Kinder kaum zu denken (Liebenwein, 2008, S. 195). Hierin wird ein bedeutsamer Aspekt sozialer Benachteiligung im Zusammenhang mit dem deutschen Schulsystem und der frühen Trennung in Schularten nach der Grundschule deutlich. Nicht nur, dass jede Übergangsentscheidung tendenziell eine riskante Entscheidung an sich ist, sei es vom Kindergarten in die Grundschule, von der Grundschule in die Sekundarstufe I oder in eine weiterführende Schule. Riskant sind sie insofern, als jede dieser Entscheidungen bedeuten könnte, dass man sich Aufstiegschancen verwehrt oder möglicherweise in einer höher bzw. weiterführenden Schule besser hätte gefördert werden können. Es scheint des Weiteren ein Teil des alltagsästhetischen Musters der Konsummaterialisten zu sein, in Bezug auf die eigene Bildungskarriere und die der Kinder weniger riskante und vermeintlich sicherere Entscheidungen zugunsten der Hauptschule und Handwerksausbildung zu treffen (Vester, 2006b, S. 19). Dabei wird diese riskante Entscheidung der Eltern für eine Schulausbildung, die sie aus der eigenen Erfahrung als sicher und stabil erlebt haben, von der Praxis der Gymnasialempfehlungen der Lehrer verstärkt und unterstützt. Die Autoren verweisen darauf, dass „ Kinder unterer Sozialschichten bei gleicher Schulleistung seltener als Kinder aus privilegierten Elternhäusern eine Gymnasialempfehlung erhielten“ (Baumert & Schümer, 2001, S. 353). Möglicherweise sind die Bildungserfahrungen der Eltern bzw. die Angst davor, dass die eigenen Kinder im Gymnasium nicht mithalten können oder dort scheitern könnten, für die Entscheidung der Eltern für oder gegen eine bestimmte Schulart Teil des alltagsästhetischen Gefüges dieses sozialen Segments: „ Nach ihren Befunden folgen der Gymnasialempfehlung der Lehrer fast alle Beamtenkinder (92 %), aber nur 63 % der Facharbeiterkinder und 48 % der Kinder von An- und Ungelernten“ (Vester, 2006b, S. 24). Baumert und Schümer (2001, S. 353) weisen aber auch darauf hin, dass es nur darauf ankommt, dass Kinder dieser unteren Sozialschichten zunächst ins Gymnasium kommen, denn zwischen der 7. und 10. Jahrgangsstufe habe soziale Herkunft keinen Einfluss auf die Schulleistungen. Unter diesem Aspekt scheint die Aussage, dass Kinder „falsch einsortiert“ seien und möglicherweise auf die falsche Schule gehen, plausibel (Menke & Leffers, 2009; Schultz, 2009). Jedoch spielen hier nicht nur eine soziale Benachteiligung durch das Schulsystem oder durch die Lehrer eine Rolle, sondern auch ganz maßgeblich das alltagsästhetische Muster des Lebensstils der Konsummaterialisten.

Mit diesen prekären Entscheidungen für den Bildungsweg Hauptschule geht auch ein bestimmtes Selbstkonzept in Bezug auf Schule und Lernen einher, das von Scham, Misserfolgen, mangelhafter Unterstützung durch Eltern und Lehrer geprägt ist. Konsummaterialisten haben insofern diese massive Distanz zu Lehrern und Bildungsinstitutionen aufgebaut. Lernen an sich macht ihnen keinen Spaß und sie haben überdurchschnittlich häufig Angst vor Prüfungen (Barz, 2000, S. 72ff; Barz & Tippelt, 2004a, S. 129ff).

4.2.1.2.2 Annahmen über Bildung und informelles Lernen

Die Annahmen der Konsummaterialisten über Bildung sind durch niedrige Erwartungen geprägt und es herrscht eine Dichotomie aus Ohnmacht auf der einen Seite und dem Bewusstsein einer mächtigen und gesellschaftlich bedeutsamen Arbeiterschaft auf der anderen Seite vor. Jedoch wird diese Machtposition sofort wieder durch das Gefühl, ohnehin unterprivilegiert zu sein, abgewertet. Dazu gehört auch die Abwertung des eigenen Wissens sowie die Distanz und Abgrenzung zu Milieus, die man für gebildet hält, bzw. die Haltung, dass Bildung etwas für die anderen sei. Misserfolge in Bezug auf Bildung und Lernen werden dementsprechend extern attribuiert. Dies wird am Thema Weiterbildung sichtbar, wonach Konsummaterialisten sich Weiterbildungsmaßnahmen ähnlich wie Medizin verschreiben lassen, wenn Arbeit oder Geld knapp wird (Barz & Tippelt, 2004a, S. 131). Gleichzeitig wird Bildung „stark mit Schulbildung und das heißt mit hohen Anforderungen und Streß assoziiert“ (Barz, 2000, S. 90). Ein intrinsisches Interesse an Weiterbildung ist damit sehr gering und Maßnahmen werden nur dann wahrgenommen, wenn sie entsprechend von außen induziert und aufgezwungen werden, meist durch den Arbeitgeber.

 

Strategien des informellen Lernens

Für formale Bildung und informelles Lernen zeichnet sich für die Konsummaterialisten ein eher widersprüchliches Bild. Auf der einen Seite haben sie schlechte Erfahrungen mit allen Formen formeller Bildung gemacht, und auf der anderen Seite berichten alle Befragten in den Studien zu Weiterbildung, dass sie informell gelernt hätten. Auch wenn es nur wenige Befragte waren, haben sie doch einige Sachbücher oder Fachzeitschriften gelesen. Bedeutsam scheint aber, dass sie berichteten, dass sie von Freunden, Verwandten oder Kollegen etwas beigebracht bekommen hätten. Sie haben ihnen entweder zugesehen oder erfolgreich nachgeahmt oder sie probierten selbst Dinge aus und diskutierten mit anderen (Tippelt u. a., 2003, S. 116). Obwohl die Befragten Bücher und Zeitschriften lasen, um sich beruflich weiterzubilden bzw. informell zu lernen, hatten sie nicht den Eindruck, mit weiteren Medien informell gelernt zu haben. Der Anteil der Konsummaterialisten, die selbstgesteuert mit Medien gelernt haben, lag mit 18 % (Pietrass, Schmidt, & Tippelt, 2005, S. 419) weiter unter dem Durchschnitt von 28 % (Tippelt u. a., 2003, S. 155). Diese Aussagen passen in das Bild, dass Konsummaterialisten häufig nicht den Eindruck haben, etwas gelernt zu haben bzw. informell gelernt zu haben. So äußerte ein Befragter diesbezüglich: „Was soll ich schon im Fußballverein gelernt haben? Da hab ich halt Fußball gespielt“ (Barz & Tippelt, 2004a, S. 136). Ein anderer Befragter war hingegen stolz darauf, ganz ohne formalisierte Bildung, auf selbstgesteuerte und spielerische Weise, sich alles am PC selbst beigebracht zu haben (ebenda). Ein selbstverständlicher Bestandteil ihrer Alltagswelt sind Quizshows wie z. B. Wer wird Millionär, die man gerne nutzt, um das „ Gedächtnis in Schwung zu halten“ (ebenda). Dabei ist auch interessant, wie es Eltern mit ihren eingeschränkten Möglichkeiten gelingt, Kinder zu fördern. Gezieltes informelles Lernen, besonders in Bezug auf handwerkliche Fertigkeiten im Alltag, spielen dabei eine besondere Rolle:

„Im Haushalt hingegen wurden den Kindern durch ihre starke Einbeziehung verschiedene Wissensinhalte vermittelt: ‘Vom Kochen her, wenn wir wissen wollten, wie etwas geht, hat unsere Mutter uns helfen lassen (…). Bügeln, Waschmaschine anmachen, kochen, putzen’.“ (Liebenwein, 2008, S. 185)

Die Strategien des informellen Lernens der Konsummaterialisten sind mehrdeutig. Zum einen fällt es den Konsummaterialisten schwer, das eigene Lernen und den eigenen Lerngewinn zu erkennen und als solchen anzuerkennen. Zum anderen lernen sie durchaus in informellen Kontexten in einer recht breiten und allgemeinen Weise und durchaus zielorientiert. Das gezielte Erlernen des Umgangs mit dem PC, motiviert im Rahmen des Alltags und für die Bewältigung alltäglicher Aufgaben, ist dafür ein Beispiel. Dies kann man für die Konsummaterialisten verallgemeinern, da sie sich eher Dinge mit Bezug auf die direkte Verwertbarkeit im Alltag aneignen und um ihren oftmals schwierigen Alltag zu bewältigen (vgl. Barz & Tippelt, 2004a, S. 131).

4.2.1.3 Mediennutzung

Die Ergebnisse der Studien zu Weiterbildung und die Mediennutzungsdaten legen die Interpretation nahe, dass die Konsummaterialisten traditionelle Formen des Lernens, des Lesens und Schreibens in der Perspektive der kulturell situierten Praxis Schule vermeiden. Die Aneignungsmuster der Konsummaterialisten, die aus dieser Analyse erkennbar sind, verweisen hingegen eher auf Dimensionen von Konsum, Eigentum und Besitz sowie Spaß und Action als bedeutsame Elemente ihrer Lebenswelt. Dies wurde besonders in den Bereichen Gaming und am Downloaden im Bereich Computer und Internet deutlich. Für Medienpädagogik könnte daher das Thema persönlicher Besitz von kostenlosen digitalen Produkten von Bedeutung sein und Bildungschancen für Risikolerner eröffnen.

Die Studien zu Weiterbildung sowie Fortbildungsgruppen und Arbeitsgruppen in der offenen Jugendarbeit im Bereich der Medienpädagogik legen nahe, dass sowohl Studierende als auch Risikolerner eher sozial homogene Lerngruppen bevorzugen (Barz & Tippelt, 2004a, S. 185; Welling & Brüggemann, 2004, S. 79). Sie ermöglichen ihnen Partizipation ohne die Notwendigkeit, sich gegeneinander abzugrenzen.

4.2.1.3.1 Kinder- und Jugendbücher, Zeitungen und Hörbücher

Im November 2007 veröffentlichte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V. in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen e. V. (avj) die Ergebnisse ihrer Studie zur Nutzung von Kinder- und Jugendbüchern mit Bezug auf soziale Milieus (C. Wippermann & Wippermann, 2007b). Diese Studie ist vor allem mit Blick auf das Thema Lesen, das auch die PISA-Studie 2001 im Blick hatte, von hoher Relevanz für Risikolerner.

Nach dieser Studie sind die Konsummaterialisten nicht für den Büchermarkt interessant. Aus diesem Segment beteiligen sich nur 15,6 % am Büchermarkt (ebenda, S. 10). Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung macht das einen Marktanteil von lediglich 7,3 % aus (ebenda, S. 17). Diese Zahl ist besonders prekär, wenn man den Anteil von 10 % an Kindern im sozialen Segment der Konsummaterialisten bedenkt.

„Bei Jungen ist der Buchkauf in der Altersgruppe der 16- bis 19-Jährigen besonders gering – und offenbar unpopulär. Hier geht die Kluft zwischen Mädchen und Jungen besonders stark auseinander: Nur 16 Prozent der Jungen, aber 84 Prozent der Mädchen dieser Altersgruppe kaufen Kinder- und Jugendbücher.“ (ebenda, S. 13)

Hierbei sei angemerkt, dass die Käufer zwischen 0 und 19 Jahren insgesamt nur 5,7 % der Buchkäufer ausmachen. Kinder und Jugendliche kaufen also insgesamt verhältnismäßig wenig Bücher. (ebenda, S. 12)

„Wenn Jugendliche im Alter von 10 bis 16 Jahren ein Buch kaufen, dann zu 89 Prozent für sich selbst. Etwa 7 Prozent ihrer Buchkäufe sind für ihre Geschwister bestimmt, zu 5 Prozent für Freunde oder Verwandte. […] Bei den 16- bis 19-Jährigen steigt der Anteil der Geschenkkäufe von vormals 5 Prozent massiv auf 41 Prozent. Allerdings werden 53 Prozent der Buchkäufe für den eigenen Bedarf getätigt. Das Volumen des Buchkaufs ist in dieser Altersphase zwar noch sehr gering, aber hier entwickelt sich offenbar die Kultur des Buchverschenkens.“ (ebenda, S. 21)

Die Konsummaterialisten sind Wenigleser, dies unterstützen auch Feierabend und Klingler (2007, S. 499) sowie Kochhan und Schengbier (2007, S. 627). Dies bezieht sich nicht nur auf das Bücherlesen, sondern auch auf das Zeitungslesen (ebenda, S. 628).

Interessant ist aber, dass die Konsummaterialisten, möglicherweise aufgrund ihrer Nähe zum Radiohören, die höchste Affinität zu Hörbüchern haben. So hören 15 % von ihnen länger als 5 Stunden täglich Radio, und trotz der in 2006 noch recht geringen Verbreitung von Hörbüchern geben 4 % der Konsummaterialisten an, fast täglich Hörbücher zu nutzen, und sogar 8 % geben an, einmal/mehrmals in der Woche Hörbücher zu hören (ebenda, S. 628).

4.2.1.3.2 Fernsehen

Das Fernsehen ist das deutliche Leitmedium der Konsummaterialisten. Sie haben im Milieuvergleich die zweithöchste Nutzungsdauer pro Tag mit 258 Minuten (Dannhardt & Nowak, 2007, S. 26). Beim Fernsehprogramm stehen hauptsächlich Ablenkung und Unterhaltung sowie Action und Spaß im Vordergrund. Dabei bevorzugen sie die „privaten Sender, allen voran kabel eins, gefolgt von RTL II, ProSieben und VOX“, nachmittags sehen sie auf Super RTL gerne Zeichentrickprogramm (ebenda, S. 21). Ihre kostspielige Konsum- und Unterhaltungsorientierung schlägt sich auch in häufigen Abonnements von Pay-TV (Premiere) nieder (Dannhardt & Nowak, 2007, S. 21; C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 221). Wobei hier anzumerken ist, dass die Ausstattung der Kinder zwischen 6 und 13 Jahren mit eigenen Fernsehgeräten sehr unterdurchschnittlich ist und gleichzeitig Fernsehen im Milieuvergleich die bedeutendste Medienaktivität ist (Feierabend & Klingler, 2007, S. 496). Dies ist ein Hinweis darauf, dass Kinder im Rahmen der Familie auf dem gemeinsamen Fernseher schauen und dies eher nicht alleine machen.

Ihre Genrevorlieben konzentrieren sich sehr auf Serienformate ihrer präferierten Sender. Auffällig ist jedoch die Präferenz für Doku-Soaps und Sendungen mit Servicetainment-Charakter, da das Fernsehen möglicherweise als Bildungsmedium und für den Erwerb von Alltagswissen genutzt wird (Barz, 2000, S. 91; Dannhardt & Nowak, 2007, S. 21).

4.2.1.3.3 Computer und Internet

Für die Konsummaterialisten steht bei der Nutzung von Computer und Internet das Gaming im Vordergrund. Die Ausstattung mit Computern in diesen Haushalten war im Jahr 2006 mit 80 % im Milieuvergleich am niedrigsten, und nur 17 % der Kinder von 6 bis 13 Jahren hatten einen eigenen Computer (Feierabend & Klingler, 2007, S. 493, 496). Überraschend ist dabei, dass die Zahl der Kinder, die den Computer nutzen, mit 77 % etwas unter der Zahl der zu Hause verfügbaren Computer liegt (ebenda, S. 500). Zugleich liegt der Anteil der Internetnutzer mit 47 % der 6- bis 13-Jährigen (ebenda, S. 500) unter dem Anteil der verfügbaren Internetzugänge von 65 % (ebenda, S. 494). Weiter geben nur 35 % der Computernutzer von sich an, im Internet zu surfen. Die absolute Zahl der Internetnutzer liegt aber etwas höher. Dabei ist die Qualität des Internetzugangs nicht unwesentlich, wonach in 2004 die Konsummaterialisten in Zentraleuropa (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien) zu nur 33 % einen Breitbandinternetzugang hatten (Ascheberg, 2006, S. 24) und damit im Milieuvergleich das Schlusslicht bilden.

Die Daten zur Computer- und Internetnutzung divergieren sehr stark und es ist anzunehmen, dass die Zahlen tendenziell auf die Jugendlichen übertragbar sind, obwohl die VerbraucherAnalyse 2007/2008 Klassik Märkte III und 2008 Klassik Märkte I für die 14- bis 24-Jährigen nur Offline-PC-Nutzung ohne Internetzugang in Form von Spielen und der Nutzung von Nachschlagewerken ausweist. Generell bleibt aber festzuhalten, dass die Kinder und Jugendlichen in diesem Segment häufig keinen Internetanschluss zu Hause haben und dagegen etwas häufiger ein Computer im Haushalt vorhanden ist. Die divergierende Zahl der Internetnutzer könnte daher kommen, dass zwar ein Internetzugang zu Hause vorhanden ist, dieser aber nicht genutzt wird, weil er als zeitlich getakteter Modem- und Telefonzugang zu teuer und qualitativ unzureichend ist oder aufgrund stundenlangen Festnetztelefonierens besetzt ist (Dannhardt & Nowak, 2007, S. 21).

Die Annahme und Folgerung daraus ist, dass einige Kinder und Jugendliche dieses Segments sich möglicherweise bei Freunden oder an anderen Orten wie Internetcafés treffen, um das Internet zu nutzen (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 214).

In Bezug auf die Offline-Tätigkeiten bevorzugen die 6- bis13-jährigen Konsummaterialisten, DVDs anzuschauen, zu spielen und Musik zu hören. Sehr unterdurchschnittlich häufig nennen sie als Tätigkeiten die im herkömmlichen Sinne lern- und schulbezogenen Tätigkeiten wie E-Mails schreiben, Texte schreiben, etwas für die Schule machen, eine Lernsoftware benutzen oder ein Computerlexikon benutzen (Feierabend & Klingler, 2007, S. 500).

Im Internet hingegen haben sie den vergleichsweise größten Anteil am Spielen, Instant Messaging und am Download von Musik. Leicht über dem Durchschnitt liegen sie beim Download von Spielen und leicht unter dem Durchschnitt beim Download von Dateien. Vergleichsweise weniger beliebt sind das Lesen und Schreiben in Foren oder Chatten und das Musikhören. Auch die Informationssuche für die Schule oder für andere Belange ist vergleichsweise weniger beliebt (ebenda).

Die große Beliebtheit von Instant Messaging gegenüber der verhältnismäßig geringen Nutzung von Chat könnte ein Hinweis auf die Qualität des Internetzugangs sein. Während Instant Messangers wie ICQ die Möglichkeit bieten, Nachrichten zu senden, wenn der Partner offline ist, und selbst Nachrichten zeitversetzt zu empfangen, benötigen Chat-Programme eine permanente Internetverbindung und die zeitgleiche Teilnahme beider Partner am Chat. Geht man davon aus, dass Konsummaterialisten nur von Zeit zu Zeit an Internet gelangen bzw. dafür den Ort wechseln müssen, bietet ihnen das Instant Messaging hier die besseren Möglichkeiten.

4.2.1.3.4 Gaming und Handy

Aufgrund des Fokus auf mobile Technologien ist das Thema Gaming, insbesondere mobiles Spielen, für die Konsummaterialisten relevant. Die Berichte von Feierabend und Klingler (2007), Dannhardt und Nowak (2007) sowie Wippermann und Calmbach (2008) beschreiben, dass die Konsummaterialisten eine deutliche Präferenz für Videokonsolen und Computerspiele haben. Dies bedeutet eine Nähe zu Entertainment und Gaming insgesamt. Dazu gehört auch die Affinität der Konsummaterialisten zu teilweise hochpreisigen Hardware-Artikeln, seien es stationäre oder portable Spielkonsolen, aufwendige PC-Hardware oder die entsprechenden Spiele. Die 6- bis 13-Jährigen haben in dieser Perspektive trotz der sehr eingeschränkten finanziellen Ressourcen eigene Gameboys, Playstation Portables und andere tragbare sowie stationäre Spielkonsolen und liegen damit jeweils in etwa im durchschnittlichen Marktanteil im Milieuvergleich (Feierabend & Klingler, 2007, S. 496). Des Weiteren muss man davon ausgehen, dass diejenigen, die keine Spielkonsole haben, sich mit anderen treffen, um gemeinsam zu spielen, und sich auf diese Weise Zugang zu solchen Geräten verschaffen (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 214).

Die hohe Relevanz von Gaming zeigt sich auch im Vergleich zu den Geräten und Aktivitäten, die bei den Kindern in diesem Milieu eher unterdurchschnittlich vorhanden sind, wie z. B. CD-Player, Kassettenrecorder, Radios und Digitalkameras (ebenda).

In Bezug auf den Handybesitz ist anhand der VerbraucherAnalyse von der Markentreue und dem Markenbewusstsein, wie Wippermann und Calmbach (2008, S. 213f, 223f) sie beschreiben, wenig zu spüren. Die 14- bis 24-jährigen Konsummaterialisten besitzen zwar zu 80 % ein Mobiltelefon, davon ist jedoch keines von einer bekannten Mainstream-Marke, sondern als einzige Marke wird namentlich Philips genannt (MDS online, 2008). Eine Verbreitung des Mobiltelefons von lediglich 80 % ist der niedrigste Wert im Vergleich zu allen anderen sozialen Segmenten, was auch für die 6- bis 13-Jährigen gilt (Feierabend & Klingler, 2007, S. 496). Diese Jugendlichen geben meist zwischen 20 und 24 EUR pro Monat für das Telefonieren und SMS-Schreiben aus. Im Gegensatz zu allen anderen Segmenten haben sie durchweg Prepaidkarten und keine Verträge mit monatlicher Grundgebühr. Es ist also nicht zu erwarten, dass diese Jugendlichen sich durch das Handy verschulden, obwohl sie die höchste Affinität zur täglichen Handynutzung haben (MDS online, 2008).

4.2.2 Hedonistisches Segment

„ Hedonisten sind die Spaß-orientierte moderne Unterschicht bzw. untere Mittelschicht. Sie sind immer auf der Suche nach Fun & Action, Kommunikation und Bewegung (‘on the road’) – wollen auf keinen Fall sein wie ‘die Spießer’. Gleichzeitig träumen viele von einem geordneten Leben mit Familie, geregeltem Einkommen und schönem Auto. De facto verweigern sie sich aber den Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft. Sie führen oft eine Art Doppelleben: am Arbeitsplatz geben sie sich angepasst, in der Freizeit schlagen sie über die Stränge, tauchen ein in subkulturelle Gegenwelten und pflegen ihr Underdog-Bewusstsein.“ (C. Wippermann u. a., 2002, S. 24)

4.2.2.1 Demografie und Lebenswelt

4.2.2.1.1 Demografie

Etwa ein Drittel aller Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind dem sozialen Segment der Hedonisten zugeordnet. Es ist damit das größte und zugleich bedeutsamste Milieu der Jugendlichen und gilt zugleich als Übergangsstation in andere soziale Segmente und Lebensstile (Vester, 2001, S. 42). Dies ist wesentlich für die Betrachtung der Jugendlichen insgesamt und insbesondere in Bezug auf Risikolerner, denn man kann davon ausgehen, dass nur die Hälfte bis etwa 60 % der jugendlichen Hedonisten im Laufe ihres Lebens in diesem Segment verbleiben. Die restlichen 40 % bis 50 %, vor allem diejenigen mit Abitur, werden aufgrund von Lebensstilveränderungen durch Brüche wie berufliche Veränderungen oder Familiengründungen in andere Segmente abwandern (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 282).

 


Abbildung 29: Auffächerung und Wanderung der Hedonisten

 

Die jugendkulturelle Auffächerung in Szenen, die sich besonders in diesem Segment abspielt, betrifft etwa 20 % bis 25 % der Jugendlichen (Hitzler, 2009, S. 66).

Gleichzeitig gilt es zu bedenken, dass durch die Größe dieses Segments keineswegs von einem homogenen Lebensstil und damit von einer homogenen alltagsästhetischen Orientierung auszugehen ist, sondern sich das Segment in viele kleine jugendkulturelle Stile und Szenen auffächert. In Bezug auf die Fragestellung nach einer genauen zahlenmäßigen Bestimmung der Risikolerner ergibt sich daraus eine nicht unerhebliche Herausforderung der Konkretisierung und Erfassung. Die Kapitel Fehler: Referenz nicht gefunden und zeigten, dass etwa die Hälfte der Hedonisten einen Hauptschulabschluss hat bzw. wahrscheinlich die Hauptschule besucht. Bezogen auf die Gesamtzahl der 14- bis 24-Jährigen ist das etwa ein Fünftel bzw. 19 %, wenn man davon ausgeht , dass im Jahr 2007/2008 ca. 36 % und in 2009 40 % der 14- bis 24-Jährigen den Hedonisten zugeordnet wurden (wobei in 2009 keine Jugendlichen den Konsummaterialisten zugeordnet wurden). Diese aufgerundeten 20 % sind in der zahlenmäßigen Näherung in etwa die Größenordnung der Jugendlichen, die die PISA-Studien zwischen 2001 und 2006 als zentrale Risikogruppe identifizierten (siehe Kapitel Fehler: Referenz nicht gefunden). Jedoch gibt es in Bezug auf die Risikolerner nach wie vor die Unschärfe, dass nicht alle Hauptschüler, auch nicht alle Hauptschüler der Hedonisten, zugleich Risikolerner sind. Lediglich die zahlenmäßige Zuspitzung verweist hier deutlich auf die Hauptschüler.

4.2.2.1.2 Die Lebenswelt der jugendlichen Hedonisten

Die Grundlinie der Orientierung innerhalb der Lebenswelt der Hedonisten scheint zunächst durch die beiden Dimensionen

  • Widerstand, Protest und Provokation gegen den Mainstream und

  • konsequente Freizeitorientierung

wesentlich geprägt zu sein.

 

Widerstand gegen den Mainstream

Um ein Verständnis der Alltagsästhetik und der kulturellen Haltung der Risikolerner bzw. der Hedonisten zu zeichnen, die diesen Stil der Lebensführung nicht be- oder abwertet, scheint es notwendig, genau diese beiden Grundlinien (Widerstand gegen den Mainstream und Freizeitorientierung) gleichfalls zu hinterfragen. Die erste Frage, die es hier zu klären gilt, ist die Frage danach, was genau der Mainstream ist und wie der Widerstand zu interpretieren ist. Möglicherweise steckt unter der Oberfläche des Widerstands ein bestimmtes Muster, das den Lebensstil der Hedonisten besser zu beschreiben vermag.

Betrachtet man die Größe dieses sozialen Segments und die Relevanz für Jugendliche und junge Erwachsene, muss man davon ausgehen, dass dieser Lebensstil den Mainstream für Jugendliche bedeutet. Wenn es um einen Widerstand geht, kann sich dieser nur gegen Erwachsene wenden und in seiner Grundtendenz weniger gegen die Jugendlichen selbst, da bereits ein Drittel aller jungen Menschen diesem Milieu zugerechnet wird.

Interessant ist hierbei die Untersuchung von Sylva Liebenwein, die der Frage nach Erziehung und sozialen Milieus nachging (2008). Die inhaltliche Analyse der Beschreibung der Hedonisten nach Liebenwein macht dabei deutlich, dass die jetzigen Eltern im hedonistischen Milieu einem „ Erziehungsstil in strikter Abgrenzung zu dem ihrer Eltern“ nachgehen. „Das Lebensmodell der Eltern gilt als abschreckendes Beispiel“ (ebenda, S. 228). Die Haltung, alles anders und besser zu machen, als die eigenen Eltern es getan haben, ist kennzeichnend für die Hedonisten als Eltern, die in der Befragung von Liebenwein zwischen Mitte 20 und Ende 30 sind und meist selbst jung Eltern wurden. Der Widerstand gegen den Mainstream bedeutet also eher die Abwendung von den Eltern in eine genau entgegengesetzte Richtung. Dabei muss man auch die soziale Mobilität innerhalb der Milieus beachten, also dass die Eltern der Hedonisten in der Liebenwein-Befragung eher aus den traditionellen und konsummaterialistischen Milieus stammen und deren Kinder dann dementsprechend weiterwanderten in Richtung Modernität und Ich-bezogener Werteorientierung. Auf der Landkarte der sozialen Milieus sind das dann die Hedonisten.

Betrachtet man aber die jugendlichen Hedonisten, deren Eltern selbst häufig aus diesem Segment stammen (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 281), entsteht daraus für diese Jugendlichen ein Handlungsproblem, das Ronald Hitzler folgendermaßen pointiert:

„In Zeiten, in denen die Mutter im Schlepptau der Tochter zu H&M shoppen geht, in Zeiten, in denen der Vater beim Sohn Rat sucht, sowohl für seine Computerprobleme als auch für sein Turnschuh-Styling, und in Zeiten, in denen allmählich schon die Großeltern mit ihren Enkeln die Konzerte der Rockveteranen stürmen, in solchen Zeiten sind für Jugendliche Szenen so etwas wie (relativ) ‚autonome’ Reservate, denn in die Szenen hinein – dorthin also, wo das juvenile Ich im von ihm gewählten Wir sich gegen die anderen ‚da draußen’ identifizieren kann – folgen ihnen die Erwachsenen, bislang jedenfalls noch, selten.“ (Hitzler, 2009, S. 69)

Ronald Hitzler sieht im Leben der Jugendlichen in Szenen „eine überaus probate Form“, „ein wenig subversiv mit der fast unbegrenzten und mitunter auch kaum noch erträglichen Toleranz autoritätsverunsicherter Erwachsener umzugehen“ (ebenda). Er stellt also weniger einen Widerstand oder eine Provokation in den Vordergrund. Die Szenen sind eher selbstgeschaffene Refugien Jugendlicher, in denen sie sich dem Zugriff durch Erwachsene entziehen, um darin „ein wenig subversiv“ zu sein.

Eine Abgrenzung der Jugendlichen bzw. den Widerstand der Jugendlichen muss man auch vor dem Hintergrund einer „durch Bildungsreformen und sozialen Wandel verlängerten Jugendphase“ verstehen (Vester, 2001, S. 521). Ronald Hitzler geht dabei noch weiter und beschreibt Jugendlichkeit selbst als eine Art Lebensstil, als „Einstellung zur Welt“, die altersunabhängig ist und für die die Alltagsästhetik des Hedonismus wegweisend ist: „Juvenilität als altersunabhängige Lebensform wird zur kulturellen Alternative gegenüber der Lebensform des Erwachsenseins schlechthin“ (Hitzler, Eichholz, Euteneuer, & Niederbacher, 2009, S. 158). Das Erwachsensein und die entsprechenden Annahmen zur Lebensführung, die an diesem Begriff hängen, sind damit ein alltagsästhetischer Gegenentwurf zum Hedonismus, wobei die Frage danach, was Mainstream ist und was Gegenkultur ist, in Zukunft immer schwieriger zu beantworten sein wird.

 

Konsequente Freizeitorientierung in der Abgrenzung zur Arbeitswelt

Die zweite Grundlinie der Orientierung innerhalb der Lebenswelt der Hedonisten ist die konsequente Orientierung an und Konzentration auf Spaß, Genuss und Freizeit. Dieses Muster ist zum einen jugendtypisch und wird teilweise durch kindlich-verspielte Arrangements in Form von Kleidung und Ausstattung zu Hause sichtbar. Zugleich ist dieses Muster für die Hedonisten auch altersübergreifend typisch (Merkle & Wippermann, 2008, S. 205). Diese Freizeitorientierung, die als jugendtypisch angesehen wird, verweist auf die Abwendung gegenüber dem, was als erwachsen und damit als spießig gilt (Dannhardt & Nowak, 2007, S. 24; Liebenwein, 2008, S. 220; Vester, 2001, S. 521).

Im Muster der Freizeitorientierung werden die Hedonisten nahezu durchgängig dahingehend beschrieben, dass sie im „Hier und Jetzt“ leben (Barz & Tippelt, 2004a, S. 156; Dannhardt & Nowak, 2007, S. 24; Flaig u. a., 1993, S. 68; Liebenwein, 2008, S. 220; Merkle & Wippermann, 2008, S. 205; Tippelt u. a., 1996, S. 109, 2003, S. 120; Vester, 2001, S. 42; C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 308). Daran angeschlossen ist der fast vorwurfsvoll geäußerte Verdacht, sie würden weder ihre Zukunft noch ihre Karriere planen (Barz, 2000, S. 81) bzw. „ Krisenbewältigung durch Verdrängung“ betreiben (Dannhardt & Nowak, 2007, S. 24). Bei genauerer Betrachtung passt hier wahrscheinlich eher die Zuschreibung der „Ablehnung biographischer Festlegungen“ (Otte, 2004, S. 91). Diese Ablehnung der Festlegung auf eine bestimmte biografische Schiene, nämlich die der Arbeit und der Bildung, machen Ronald Hitzler u. a. (2009, S. 154), ohne sich auf die Hedonisten direkt zu beziehen, mit Bezug auf Reinders (2006) deutlich. Reinders unterscheidet zwischen Jugend als Bildungs- oder Freizeit-Moratorium, wobei beides eine Zeit des Aufschubs bedeutet, die den Zweck hat, sich entweder Bildungskapital und Bildungstitel anzueignen oder „freudvolle Aktivitäten außerhalb von Schule und Elternhaus“ zu betonen, bei denen „Peers eine wesentliche Bezugsgruppe darstellen und der zeitliche Fokus auf dem Hier und Jetzt der Gegenwart liegt“ (Reinders, 2006, S. 81; zit. nach: Hitzler u. a., 2009, S. 159).

Diese Konzentration auf Jugend bzw. Jugendlichkeit als Freizeit-Moratorium ist für die Hedonisten möglicherweise von großer Bedeutung. Dabei ist es hilfreich, den Begriff Bildungs-Moratorium auch auf den Bereich Arbeit zu erweitern. Mit der Verlängerung der Jugend und der Jugendlichkeit als „Einstellung zur Welt“ hat Ronald Hitzler ohnehin den Begriff des Moratoriums im Sinne eines Aufschubs implizit infrage gestellt. Was bleibt, sind die beiden großen auseinanderfallenden und konträren Bereiche Bildung/Arbeit und Freizeit.

Ausschlaggebend für diesen Ansatz ist das Doppelleben (Dannhardt & Nowak, 2007, S. 24; Merkle & Wippermann, 2008, S. 202; C. Wippermann u. a., 2002, S. 24), das die Hedonisten in Bezug auf Arbeit und Freizeit führen. Im Berufsleben sind sie angepasst (ebenda), empfinden Arbeit als notwendiges Übel (Flaig u. a., 1993, S. 67), die dazu dient, Geld zu verdienen, um das Leben außerhalb der Arbeit zu ermöglichen. „ Sich für beruflichen Erfolg und sozialen Aufstieg ‘kaputtzumachen’“ , ist darin aber nicht enthalten (ebenda). Es geht eher darum, sich mit dem Job, den man hat, ein geordnetes „Leben mit Familie, geregeltem Einkommen und schönem Auto“ zu ermöglichen (Merkle & Wippermann, 2008, S. 24). Jugendliche haben in dieser Perspektive auch kaum konkrete und festgelegte berufliche Ziele oder Berufswünsche. „Man wünscht sich einen möglichst gut bezahlten, sicheren Arbeitsplatz bei einer renommierten Firma, der auch Spaß macht und nicht zu anstrengend ist“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 308). Auch hier zeigt sich die Ablehnung biografischer Festlegungen, die gleichsam bedeuten würde, die „Pflicht- und Leistungsethik der Elternmilieus“ (Vester, 2001, S. 99), die „Leistungsmoral der Leistungsorientierten und die Pflichtmoral der Kleinbürgerlichen Arbeitnehmermilieus“ (ebenda, S. 521), die „Konventionen und Normen mit einer instrumentalistischen Arbeitseinstellung“ (Barz & Tippelt, 2004a, S. 156) und die „Disziplin- und Leistungsanforderungen der Gesellschaft“ (Barz, 2000, S. 80) anzuerkennen und sie sich aneignen zu müssen.

 

Finanzielle Ressourcen

Die finanzielle Situation der Hedonisten ist nicht ganz so prekär wie die der Konsummaterialisten. Der Anteil Arbeitsloser ist in diesem Segment etwas geringer als bei den Konsummaterialisten, und die Haushalte haben kleine bis mittlere Einkommen (Tippelt u. a., 1996, S. 109). Dennoch herrscht von Zeit zu Zeit akuter Geldmangel (Tippelt u. a., 2003, S. 124). Geld ist für sie Mittel zum Zweck und wird ausgegeben, sobald es vorhanden ist (ebenda). Der ungeplante Umgang mit Geld ist von Sorglosigkeit geprägt (Liebenwein, 2008, S. 239). Daher können viele ihre erweiterten Lebensentwürfe und und ihre „Ansprüche auf ein gutes Leben und Komfort ohne starke Abstriche“ nicht verwirklichen (Vester, 2001, S. 42). Die Jugendlichen agieren aus einer recht sicheren finanziellen Position, die ihnen die Eltern trotz den manchmal auftretenden Engpässen ermöglichen.

Bemerkenswert ist die unternehmerische Eigeninitiative der Hedonisten. In diesem Segment sind die Freiberufler leicht überrepräsentiert (Merkle & Wippermann, 2008, S. 203) und man betätigt sich aufgrund der Nähe zum Handwerk gegebenenfalls im Bereich der Schattenwirtschaft bzw. Schwarzarbeit (Vester, 2001, S. 99). Die Jüngeren haben aber auch „ o ftmals finanziell lukrative subkulturelle Aktivitäten (Graffiti-Aufträge, Band-Gründung)“ (Barz & Tippelt, 2004a, S. 157) oder machen sich mit ihren Szeneaktivitäten selbständig, indem sie beispielsweise selbstgestaltete Kleidung im Internet verkaufen (Pachler u. a., 2010, S. 139). Sie „integrieren symptomatischerweise die Idee ‘Selber-Spaß-haben’in das Erwerbsziel ‘Anderen-ihren-Spaß-ermöglichen’ und kombinieren so in aller Regel eine szenespezifische Werthaltung mit unternehmerischem Kalkül“ (Hitzler, 2009, S. 67).

4.2.2.1.3 Der Lifestyle der Hedonisten

Auf der Oberfläche ist der Lifestyle der Hedonisten geprägt vom Widerstand gegen die Mainstream-Gesellschaft, von Erlebnis- und Genussorientierung, von der Suche nach Fun und Action bis hin zu „aggressiven Underdog-Gefühlen gegenüber ihrer Umwelt“ (vgl. bspw. Tippelt u. a., 2008, S. 139). Sie sind die „Spaß-orientierte moderne Unterschicht / untere Mittelschicht“ (Tippelt u. a., 2003, S. 120), sie verweigern sich den „Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft“ (ebenda). Sie haben „Spaß an der Provokation der ‘Spießer’“ (ebenda). Sie sind eine sehr heterogene Gruppe, die sich in viele stilistische Szenen und Fangemeinden gliedert. Generell ist ihnen gemeinsam, dass sie sich, soweit möglich, nicht ‘dressieren’ lassen, sich Refugien für unprogrammiertes Leben schaffen und bewahren und dass sie zwischen den Sphären der Selbst- und Fremdbestimmung pendeln (vgl. C. Wippermann & Calmbach, 2008).

Die Hedonisten sind auf den ersten Blick der prototypische Stil der Erlebnisgesellschaft (Schulze, 1992) und der Ich-Orientierung. Ihre alltagsästhetische Orientierung und ihr Lebensstil entsprechen recht passgenau den beiden unter Kapitel Fehler: Referenz nicht gefunden beschriebenen Jugendstilen „ Risikobereit-bürgerlichkeitsablehnender Lebensstil“ und „ Risikohaft-hedonistischer Lebensstil“ von Jürgen Raithel (2005, S. 166, 169).

 

Freizeitorientierung als gelebte Erlebnisgesellschaft

Die Ich-Orientierung im Sinne eines Auslebens, was Gerhard Schulze mit Erlebnisgesellschaft meinte, die Performanz und der Spaß am aktiv-riskanten Verhalten sind zentrale Charakteristika dieses sozialen Segments. Um aber medienbildungsrelevante Muster in diesem Lebensstil zu entdecken, scheint es angebracht, die beiden Begriffe Genuss und Spaß aufzulösen. Vermutlich wäre es angebracht, an einer anderen Stelle diese Begriffe aus philosophischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive mit weiteren Bedeutungen zu füllen. An dieser Stelle kann besonders zum Begriff Genuss lediglich aus dem Kontext der Analyse der Milieubeschreibungen ein Gedanke geäußert werden.

Wippermann und Calmbach beobachteten bei den Hedonisten eine Besonderheit im Hinblick auf deren Sammelverhalten:

„Es geht ihnen darum, über eine möglichst große Sammlung zu verfügen (‘suche alles von … ‘), Einzigartigkeit und Authentizität der Kulturobjekte spielen dabei kaum ein Rolle. So ersteigert man beispielsweise bei eBay lieber eine ganze Sammlung von gängigen CDs zu einem erschwinglichen Preis als eine rare und limitierte Vinyl-Erstpressung. Ebenso sammeln insbesondere jüngere Hedonistische Jugendliche lieber ‘jeden Schnipsel’ ihres Lieblingsstars über Popzeitschriften, als sich, oftmals teure, Autogrammkarten zuzulegen.“

„Charakteristisch ist, dass die Sammel-Objekte der Hedonisten dem bildungsbürgerlichen Kunstverständnis nach wertlose Massenprodukte ohne Aura sind. In der Tat lassen sich diese Sammlungen kaum in erwähnenswerter Weise in ökonomisches Kapital transformieren.“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 296f)

Den Hedonisten geht es bei ihrem Sammeln nicht um das Hervorheben der Werke oder der Leistung anderer, sondern es geht ihnen um die Hervorhebung der eigenen Leistung und damit um das Hervorheben des Ich, im Sinne eines ‘Ich habe alles von … gesammelt. Ich habe das geleistet’. Der Genuss steckt damit in der eigenen Leistung und darin, die eigene Leistung für sich zu genießen, wobei es nicht relevant ist, welchen (finanziellen) Wert diese Leistung für andere hat.

Die Frage nach Spaß erschießt sich auch aus den Milieubeschreibungen nicht unmittelbar. Zunächst ist Spaß möglicherweise – ähnlich wie die Freizeitorientierung – in der Abgrenzung zu Arbeit und Bildung zu sehen, die dazu ein Gegenteil darstellen. Fügt man dazu die eben genannte Genuss- und Ich-Orientierung hinzu, gewinnt Spaß eine Art Befriedigungsdimension, die möglicherweise mit dem besonderen Selbstbewusstsein und mit dem Risikoverhalten, das sich insbesondere auf Körperlichkeit bezieht, zusammenhängt. Die Bedeutung von Risikoverhalten und Körperlichkeit wurde bereits unter Kapitel Fehler: Referenz nicht gefunden in Bezug auf die Jugendstile „Risikobereit-bürgerlichkeitsablehnender Lebensstil“ und „Risikohaft-hedonistischer Lebensstil“ erläutert.

 

Selbstbewusstsein und Eigen-Sinn der Hedonisten

Die Hedonisten zeigen ihren Lifestyle für andere deutlich sichtbar und tragen ihn förmlich vor sich her. Aus diesem Grund muss man den äußerlich sichtbaren Lifestyle vor diesem Hintergrund und als konstitutiv für ihr besonderes Selbstbewusstsein sehen.

Zu diesen Äußerlichkeiten gehören „Klamotten, Modeschmuck, Uhren, Kosmetik, Duftwässer, Sportausstattung und -bekleidung, und natürlich Autos und Motorräder“ (Tippelt u. a., 2003, S. 121) ebenso wie „Lebens- und Liebesgewohnheiten bis zur bevorzugten Jeansmarke oder Hamburger-Kette“ (Flaig u. a., 1993, S. 68). Von außen ebenfalls leicht zu erkennen sind ihre Zugehörigkeiten zu Szenen wie „BMX, HipHop-, Techno-, Skater-, Graffiti-, Demo-, Kletter-Szene“ sowie Szenen wie „Punk, Comic, Gothic, LAN-Partys, Warez, Hardcore, Deathmetal, Drogen, Junghexen, etc“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 284).

Spezifisch für die Hedonisten und ebenso äußerlich sichtbar sind ihr Jugendlichkeits- und Bodykult (Merkle & Wippermann, 2008, S. 204) sowie Körpermodifikationen wie Piercings und Tattoos (Merkle & Wippermann, 2008, S. 205; C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 296).

Auch die Inneneinrichtung der Wohnungen und das häusliche Zuhause ist geprägt von „Do-it-yourself-Kunst“ (Merkle & Wippermann, 2008, S. 205) und der „Lust am Trash“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 294), die expressiv, billig und wandelbar sind. Dabei bauen sie vorgefertigte Möbel gerne um, dekorieren sie und richten sie im Sinne von Stilbasteleien nach eigenem Geschmack zu.

Auf der deskriptiven Ebene werden die Hedonisten darüber hinaus mit „starken Reizen“, einer „eigenen ‘krassen’ Ästhetik und Phantasie“ (ebenda) beschrieben. Aus einer Mittelschichtsperspektive wird das dann als Provokation, als Tabuverletzung und als Abgrenzung gegen das ‘Spießertum’ empfunden. Dabei gilt es zu beachten, dass es den Hedonisten zunächst um die „ eigene Stilisierung als Underdog“ (ebenda, S. 295) geht, wohl wissend, dass sie selbst zu einer Mainstreamgruppe der Jugendlichen gehören, die oftmals aus einer finanziell gesicherten Lage handeln und sozial weder benachteiligt noch marginalisiert sind. Man bekennt sich zu einer bestimmten Szene, einem bestimmten Stil und bleibt diesem im Sinne einer ideologischen Grundhaltung treu (ebenda, S. 301).

In dieser Perspektive geht es eher um Authentizität und darum, echt zu sein, sich selbst treu zu sein, einen Lebensstil auszuleben, hinter dem man steht, und dies die anderen auch spüren zu lassen.

Das Muster, die anderen diesen Eigen-Sinn spüren zu lassen, macht einen bedeutsamen Moment des Selbstbewusstseins und des Selbstkonzepts der Hedonisten aus.

„Beachtung und ‘Anerkennung’ von außen ist für sie ein wichtiges Merkmal zur Standortbestimmung und für Verhaltensänderungen: Insofern nehmen sie Reaktionen ihres Umfelds sehr sensibel wahr.

Sie entwickeln ein Selbstbewusstsein als Außenseiter und genießen es, von anderen Jugendlichen und Erwachsenen aus dem traditionellen, bürgerlichen und etablierten Mainstream ‘schräg angesehen’ zu werden: Andere zu irritieren, Erwartungen zu enttäuschen, Konventionen zu brechen und die Leute aus ihrer gewohnten Fassung zu bringen, ist für sie eine ‘diebische’ und ‘entlarvende’ Freude.“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 285)

Vermutlich geht es ihnen nicht darum, direkt zu provozieren, sondern vielmehr darum, ihren eigenen Stil für sich selbst zu beanspruchen und zu behaupten. Und das, indem sie sich an den Reaktionen der anderen orientieren. Es wenn sich ein Dritter provoziert fühlt, „scheut man auch vor heftigen Auseinandersetzungen in Bus, U-Bahn oder Supermärkten nicht zurück“ (Liebenwein, 2008, S. 231). „Insofern sind diese Auseinandersetzungen ein virtuelles Ringen mit und ein sich Abarbeiten an der bürgerlichen Kultur – und darin eine spezifische und sichere Form der Aneignung“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 295).

 

Risikoverhalten und Körperlichkeit

Die zweite Dimension zur Beschreibung und Analyse des Lifestyles der Hedonisten, der sich insbesondere auf die jugendlichen Jungen bezieht, ist das aktive riskante Verhalten (Risikoverhalten) und dabei auch die Hervorhebung der Körperlichkeit (siehe Kapitel Fehler: Referenz nicht gefunden). Der theoretische Zusammenhang zwischen Spaß und Körperlichkeit wurde unter Kapitel ??? diskutiert. Diese Dimension ist in die Frage nach den spezifischen Risiken der jeweiligen sozialen Segmente sowie in die Frage nach spezifischen Risiken der Risikolerner eingebunden. Für die Hedonisten ist dabei entscheidend, dass sie nur zu einem sehr geringen Maß von passiven Risiken wie sozialer Benachteiligung betroffen sind, sondern bei ihnen vielmehr aktives Risikohandeln im Vordergrund steht. Dieses Risikohandeln ist zum einen auf die eigene Ausgrenzung aus der Mainstream-Gesellschaft bezogen, die sich jedoch im Laufe der Zeit und durch veränderte Lebensumstände verändern kann. Im Zuge gesellschaftlicher Flexibilisierung ist die Selbstausgrenzung der Hedonisten auch nur eine oberflächliche Betrachtung und könnte sich in Zukunft als weit weniger gravierend herausstellen, als es einige Autoren annehmen.

Die zweite Dimension des Risikohandelns bezieht sich auf eher körperliche Erscheinungen und Aktivitäten. In Bezug auf Mode und Kleidung setzen die Hedonisten auf Markennamen. Im Unterschied zu den Konsummaterialisten, die mit Bedacht auf Sicherheit auf bekannte Marken setzen, orientieren sich die Hedonisten eher an alternativen Marken, die lediglich in kleinen Szenen bekannt sind und vor allem „nicht Hinz und Kunz geläufig sein sollten“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 297). Auch ihre bevorzugten Sportarten, die bedeutsamer Teil des Lebensstils sind, sind körperbetont, zielen auf Action ab und sind verletzungsanfällig . Dies sind vor allem Szenesportarten wie Karate, Skateboard, Inline, Fußball, Squash, BMX und Klettern (vgl. ebenda).

Weitere körperbetonte Aktivitäten, die zentral zur Alltagsästhetik der Hedonisten gehören, sind der Besuch von Konzerten und Discos sowie das Hören von Musik. Neben dem Vergemeinschaftungsaspekt, der vor allem über den Musikstil abläuft und bei dem der gemeinsame Besuch von Konzerten und Discos eine wichtige Rolle spielt, ist Musik eine stark körperliche Erfahrung. Dass dies auch aktives Risikoverhalten bedeutet, beschreibt Jürgen Raithel, indem er berichtet, dass 60 % der Jugendlichen im Risikohaft-hedonistischen Lebensstil angaben, „sogar ‘immer’ sehr laute Musik zu hören“ (Raithel, 2005, S. 172).

Eine weitere körperliche Erscheinungsform, die im weiteren Sinne eine Art des Risikohandeln ist, sind die beschriebenen Piercings und Tattoos, der Bodykult und die Körpermodifikationen.

Der neben der Musik deutlichste Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Körperlichkeit und Risikoverhalten ist der Umgang und die Erfahrung der Hedonisten mit Drogen, Rauschmitteln und insbesondere mit dem ‘Kiffen’ (Barz, 2000, S. 80; Raithel, 2005, S. 169, 171; C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 281, 284). Dabei ist dieses Thema auch für die Eltern innerhalb dieses Segments nichts Neues. Sie haben sich selbst mit Rauschmitteln auseinandergesetzt, können diese einschätzen und mit ihnen umgehen, was ein deutlicher Hinweis auf die selbstverständliche Verbreitung vor allem des ‘Kiffens’, also des Konsums von Cannabisprodukten, in diesem Segment ist:

„Er [der zweijährige Sohn] [sic] wird mit Sicherheit mal rauchen, er wird mal kiffen, er wird sich voll saufen [sic], er wird mal eine Nase Koks nehmen (…). Er wird auch seine Experimentierphase haben und Sachen ausprobieren, aber ich glaube, dass die Kinder von uns so ein starkes Ego mitbekommen, dass da nichts passiert. Ich habe auch alles ausprobiert und ausgetestet, bis auf LSD und Heroin habe ich alles mal in mich reingezogen.“ (Aussage eines 38-jährigen männlichen Befragten aus: Liebenwein, 2008, S. 238f)

Gender-Perspektive und Freizeitaktivitäten

Im Gegensatz zu den Konsummaterialisten sind im Analysematerial der Milieubeschreibungen keine genderspezifischen Milieumerkmale hervorgetreten. Im Gegensatz zu den Hedonisten brauchen die Jungen des Segments Konsummaterialisten einen eher traditionellen Zugang zu Männlichkeit wie Stärke und Durchhaltevermögen und eine berufliche Perspektive im klassischen Handwerk. Bei den Hedonisten wird vor allem an den jungen Eltern deutlich, dass beide Elternteile Wert auf eine „gleichberechtigte Rollenverteilung“ legen. Sie bieten auch Jungen Puppen zum Spielen an, wobei die Jungen auch gern mit Mädchen spielen, „und wenn die ihre Puppen dabei haben, dann spielt er halt den Vater“ (Aussage eines 26-jährigen männlichen Befragten aus: Liebenwein, 2008, S. 233).

 

Die männlichen Hedonisten im Alter von 14 bis 24 Jahren bevorzugen als Freizeitaktivitäten, die sie gern oder besonders gern machen (jeweils absteigend sortiert):

Überdurchschnittlich (Index größer oder gleich 110):

  • Angeln,

  • Fußball spielen,

  • mit Auto/Motorrad beschäftigen,

  • Motorrad, Moped, Mofa fahren,

  • Sportveranstaltungen besuchen,

  • Computer-/Videospiele spielen,

  • Heimwerken, Do it yourself,

  • Sammeln (Münzen, Medaillen, Briefmarken),

  • Golf spielen,

  • Camping, Zelten.

Durchschnittlich (Index größer als 90 und kleiner als 110):

  • Tennis spielen,

  • andere Sportarten treiben,

  • Fernsehen,

  • Wassersport treiben (z. B.: surfen, segeln usw.),

  • DVD anschauen,

  • PC/Internet nutzen,

  • Kneipen, Lokale besuchen,

  • im Verein aktiv sein,

  • Musikhören,

  • Discos, Clubs besuchen,

  • Partys feiern,

  • Radfahren,

  • Skifahren,

  • mit Freunden zusammen sein,

  • ins Kino gehen,

  • Autofahren,

  • Schwimmen,

  • Tageszeitungen lesen,

  • Radiohören.

Unterdurchschnittlich (Index kleiner oder gleich 90):

  • Arbeiten für meinen Beruf erledigen,

  • gut essen gehen,

  • Video filmen,

  • Pop-, Schlagerkonzerte besuchen,

  • sich beruflich fortbilden,

  • Inlineskaten,

  • Zeitschriften lesen,

  • Wandern,

  • Gartenarbeit, Pflanzen pflegen,

  • Joggen, Walken,

  • Zeit mit Kindern, Enkeln verbringen,

  • Shoppen/Bummeln/Einkaufen,

  • Fotografieren,

  • Museen, Ausstellungen besuchen,

  • Hörbuch hören,

  • Theater, Konzerte, Musicals besuchen,

  • Bücher lesen,

  • Wellness-Angebote nutzen,

  • Reiten, sich mit Pferden beschäftigen.

Ihre bevorzugten Musikstile sind (jeweils absteigend sortiert):

Überdurchschnittlich (Index größer oder gleich 110):

  • Hardrock, Heavy Metal,

  • Country-/Western-Musik,

  • Dance und Electronic,

  • Hip-Hop, Rap.

Durchschnittlich (Index größer als 90 und kleiner als 110):

  • Rock Deutsch,

  • Rock International,

  • Pop Deutsch,

  • Pop International,

  • Deutscher Schlager,

  • Volksmusik.

Unterdurchschnittlich (Index kleiner oder gleich 90):

  • Black Music (Blues, Soul, Funk),

  • Oldies, Evergreens,

  • Jazz,

  • Weltmusik und Folklore (Tango, Samba, Salsa),

  • Klassische Oper, Operette,

  • Klassische Musik instrumental,

  • Musicals.

Für die Zukunft wünschen sie sich bzw. nennen sie als wichtige oder als besonders wichtige Dinge im Leben (jeweils absteigend sortiert):

Überdurchschnittlich (Index größer als 100):

  • hin und wieder die Zeit mit Nichtstun verbringen,

  • häufig in den Urlaub fahren,

  • viel Freizeit,

  • viel erleben,

  • großer Freundeskreis,

  • sportlich aktiv sein,

  • sich etwas leisten können,

  • Erfolg im Beruf,

  • Aufgeschlossenheit für neue Entwicklungen.

Durchschnittlich (Index größer als 96 und kleiner oder gleich 100)

  • finanzielle Unabhängigkeit,

  • Leistung,

  • Spaß und Freude,

  • attraktiv aussehen,

  • Arbeit, feste Anstellung,

  • gute (Berufs-)Ausbildung,

  • Sicherheit im Land,

  • Familie, Partnerschaft,

  • Individualität,

  • schöne Wohnung, schönes Heim,

  • sichere Zukunft.

Unterdurchschnittlich (Index kleiner oder gleich 96):

  • Selbstverwirklichung,

  • kulturelles Leben,

  • gute, vielseitige Bildung,

  • gesunde Umwelt,

  • gesunde Ernährung,

  • soziales Engagement,

  • Glaube, Religion,

  • Kinder haben.

Im Gegensatz zu den Hedonisten benannten nur sehr wenige der Konsummaterialisten diese Wünsche. Konsummaterialisten wünschten sich eher, Kinder zu haben, häufig Urlaub zu machen und gesund zu essen. (Alle Angaben aus: MDS online, 2010. Eigene Auswertung)

4.2.2.2 Bildungskarrieren und Annahmen über Bildung und informelles Lernen

Der Bereich der Bildung stellt zusammen mit dem Bereich der Arbeit den Gegenentwurf zum Freizeit-Moratorium dar. Im vorherigen Abschnitt wurde der Bereich Freizeit und, in der jeweiligen Abgrenzung dazu, der Bereich Arbeit diskutiert. Im Folgenden steht nun der Bereich der Bildung im Zentrum und dabei die Frage nach den spezifischen Bildungskarrieren der Hedonisten, ihren Annahmen über Bildung und ihren Strategien des informellen Lernens.

4.2.2.2.1 Bildungskarrieren

In Bezug auf ihre Bildungskarriere sind für die Hedonisten „abgebrochene und unterbrochene Schul- und Berufsausbildungen“ (Barz, 2000, S. 80) charakteristisch. Sie kritisieren die große Distanz zwischen Schülern und Lehrern sowie die Distanz zwischen Schülern und Lehrstoff (ebenda). Die Kritik der Hedonisten an der Schule ist recht unkonkret und diffus. Vermutlich fehlt eine adäquate individuelle Förderung und vermutlich werden leistungsschwache Schüler völlig falsch behandelt (ebenda, S. 81). Andererseits empfinden die Hedonisten nicht, dass die Förderung der Kreativität in der Schule ein Problem sei (ebenda). Ein Grund hierfür könnte die Wahrnehmung von Schule insgesamt sein, die man eher als gegebenen „Freiraum fern der Arbeitswelt“ sieht, als Zeit, „die man für die Entdeckung und Verwirklichung eigener Interessen zur Verfügung hat“ (ebenda, S. 95). Schule ist insofern ein Schonraum, den man für kreative und soziale Aktivitäten nutzt und dabei das Pflichtprogramm Lernstoff und Unterricht über sich ergehen lässt.

Sich in der Schule „[d]urchwursteln“ (ebenda, S. 81) gilt für sie als sportlich zu nehmende Herausforderung. Sie haben ins „Blaue hinein gelernt“ und betreiben in Bezug auf Bildungsabschlüsse, ähnlich wie im Bereich der Arbeit, keine Karriere- und Zukunftsplanung (ebenda). Dies steht bei den Hedonisten auch unter dem Vorzeichen einer eigenen Bildungsökonomie. So investieren sie nur das Notwendigste, um die Schule zu bestehen, versuchen die inneren Regeln der Schule zu durchschauen, um im Sinne der Bildungsökonomie einen kleinen Vorteil für sich zu erlangen und um letztlich weniger investieren zu müssen (vgl. ebenda, S. 81).

Dabei sind sich die Hedonisten der Bedeutung und Wichtigkeit von Schulabschlüssen durchaus bewusst. Dies wird an ihren Wünschen nach Erfolg, Anerkennung und höherem Einkommen deutlich. Jedoch scheitern diese Wünsche oftmals an ihrem selbst geäußerten geringen Durchhaltevermögen oder an ihren Vermeidungsstrategien gegenüber formalen Bildungseinrichtungen (Tippelt u. a., 2003, S. 123). Was bleibt, ist das Bedauern über verpasste Bildungsabschlüsse (Barz, 2000, S. 95; Barz & Tippelt, 2004a, S. 157).

Dies gilt insbesondere für jugendliche Hedonisten an der Hauptschule: Sie „haben überhaupt kein Interesse an der Schule; die Zeit dort sitzen sie einfach ab. Trotzdem wird die Schule besucht, die Notwendigkeit einer guten Ausbildung ist den Jugendlichen bewusst“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 285).

4.2.2.2.2 Annahmen über Bildung und informelles Lernen

Die Betonung der Freizeit steht der Ablehnung institutioneller Bildung gegenüber. Dies deutete die bisherige Analyse an. Konkreter bedeutet das, dass die Hedonisten dem „klassischen Bildungsideal“ zwiespältig und distanziert gegenüberstehen (Barz, 2000, S. 95). Mit Schulpädagogen hat man sein „Leben lang nur Stress gehabt“ (Barz & Tippelt, 2004a, S. 162), und sogar Berührungsängste „gegenüber Befragungen von Universitäten“ wurden beobachtet (Tippelt u. a., 2003, S. 122). Die Hedonisten distanzieren sich selbstbewusst von allem, was institutionelle Bildung bedeutet, und schon der Begriff „Bildung bedeutet wie Lernen Mühsal und Anstrengung“ und setzt die Hedonisten unter Druck und lässt sie in Stress geraten (Barz & Tippelt, 2004a, S. 158). Für die Hedonisten ist der „ Widerstand gegen eine aufgezwungene Bildungsbeflissenheit“ ein zentrales Moment (ebenda, S. 159), wobei sie sich dabei auch von den bürgerlichen „kontemplativen, mühsamen Rezeptionsweisen“ distanzieren (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 294).

Demgegenüber steht eine aktive Praxis des Selbstlernens der Hedonisten und ihre hohe Affinität zu selbstgesteuertem informellem Lernen. Sie schätzen dabei vor allem den autoritätsfreien, ungezwungenen und unverbindlichen Charakter des informellen Lernens. Dabei bringen sie für selbstgewählte Lerngebiete hohes Engagement auf, sind aufgeschlossen gegenüber neuen und fremden Dingen, haben ein breites Interesse an verschiedensten lernrelevanten Themen ihres Alltags und fördern das informelle Lernen ihrer Kinder, wo sie nur können. Markant sind dabei vor allem zwei Dimensionen:

  • die Hedonisten möchten ihr eigenes Lernen in jeder Hinsicht selbst bestimmen und kontrollieren,

  • die Hedonisten lernen nicht im schulischen Sinne eines ‘ just-in-case ‘, sondern sie lernen on-demand im Sinne eines ‘just-in-time’ oder ‘just enough’ und vor allem ‘ just-for-me’ (Traxler, 2007, S. 5).

Hohes Engagement

Die Hedonisten haben großes Interesse an neuen Technologien, insbesondere an PC und Internet, aber auch an Themen wie Fremdsprachen oder Gestaltung im weiteren Sinne z. B. Air Brush oder Grafik-Design (Barz & Tippelt, 2004a, S. 159). Wenn Themen wie diese interessant sind, und dies gilt auch für Schule, können sich die Hedonisten dafür durchaus begeistern und und großes Engagement investieren (Barz, 2000, S. 80). Wenn bestimmte Themen Spaß machen oder „unkonventionell oder spannend“ sind, gehen die Hedonisten nicht mehr nach ihrer Lern- und Bildungsökonomie vor, sondern suchen unter Umständen die nicht immer einfachste Lösung, indem sie mit Begeisterung manche Freizeitaktivitäten mit hohen Anforderungen und hohem Aufwand betreiben (Tippelt u. a., 2003, S. 122f).

 

Förderung von informellem Lernen

Trotz der manchmal knappen finanziellen Ressourcen der Hedonisten versuchen sie, das informelle Lernen ihrer Kinder so gut wie möglich zu fördern. Dabei ist es ihnen wichtig, den Horizont ständig zu erweitern, wobei sie, genauso wenig wie sie es für sich selbst wünschen, ihren Kindern keine Lernthemen vorgeben, sondern „sich ausschließlich an den Interessen der Kinder“ orientieren (Liebenwein, 2008, S. 237). Das schließt vor allem die Förderung von technikbezogenen Themen sowie künstlerische Tätigkeiten ein. Im Unterschied zu den Konsummaterialisten, die von den Eltern vor allem in finanzieller Hinsicht alleine gelassen wurden, versuchen die Hedonisten, ihre Kinder gerade durch finanzielle Investitionen zu fördern:

„Zu Weihnachten wünscht der sich einen Weltatlas, aber bitte keinen für Kinder. Er mag auch wahnsinnig gerne so Sachbücher und die kaufe ich ihm dann auch.“ (Aussage einer 26-jährigen weiblichen Befragten aus: Liebenwein, 2008, S. 237)

 

Aufgeschlossenheit und breites Interesse

Das „grundsätzliche Streben der Hedonisten nach Aktualität und Neuem“ (Tippelt u. a., 2003, S. 122) verweist auf ihre generelle Aufgeschlossenheit gegenüber neuen und fremden Dingen. Dies kann man als eine generelle Annahme über Bildung sehen, da Hedonisten die Bedeutung von Bildung durchaus einschätzen können, diese jedoch nicht auf Bildungsabschlüsse reduzieren. Ihnen geht es vielmehr darum, „Dinge aus verschiedenen Perspektiven sehen zu können“ und „weiter als bis zu ihrem Fenstersims“ zu sehen (Barz, 2000, S. 95).

Bildung sehen sie also als einen breiten Begriff an, der eher auf Lebens- und Alltagsbewältigung ausgerichtet ist als auf Allgemeinwissen und einen schulischen Fächerkanon (Barz & Tippelt, 2004a, S. 158). Zu dieser Bildung gehört auch dazu, „ an den Anforderungen des (problembeladenen) Alltags“ zu wachsen und durch das Leben auf der Straße oder im Gefängnis Kompetenzen erworben zu haben (ebenda, S. 163). Von relevanten Dritten wie Großeltern oder von respektierten Lehrern, wie beispielsweise dem Zeichenlehrer, versuchen sie zu lernen oder von ihnen „die ein oder andere Lebensweisheit“ mitzunehmen (ebenda).

Ihr breites Interesse, bei dem das Internet und der PC eine tragende Rolle spielen, bezieht sich neben künstlerischen und technischen Themen auch auf übungsintensive Sportarten wie Karate, Inlineskaten oder Skateboardfahren. Hierbei spielen Freunde und Peers eine wichtige Rolle, die man fragt, von ihnen Dinge gezeigt bekommt und von ihnen ermutigt wird.

Bei den Jugendlichen bekommt die Orientierung an Stilen und Szenen eine zusätzliche Bedeutung für informelles Lernen, da jede bestimmte jugendkulturelle Ausrichtung „die Aneignung von szenespezifischen Wissensbeständen und Kompetenzen erfordert“ (C. Wippermann & Calmbach, 2008, S. 295). Szenespezifisches muss also ‘gelernt’ werden. Dazu gehört gewisses Wissen über Kleidungsstile und -codes, Wissen über Musiker oder z. B. Hintergrundgeschichten über Musikgruppen und -richtungen. Hinzu kommen mögliche politische Ausrichtungen mancher Szenen und Stile – inklusive Musikrichtungen wie z. B. Punk oder Reggae – , in denen u. a. Anarchismus, Feminismus oder auch afrikanische Geschichte bedeutsam sein können. Die Jugendlichen investieren häufig wesentlich mehr Engagement in die thematische Einarbeitung und Aufarbeitung ihrer eigenen breit gefächerten alltäglichen Themen als in schulische Lernthemen (ebenda, S. 300).

 

Selbstbestimmtes Lernen on-demand

Die Hedonisten sind mit autodidaktischem und informellem Lernen vertraut, und die Ungezwungenheit und Unverbindlichkeit hat für sie dabei hohe Bedeutung. Dabei scheint es im Unterschied zu schulischem Lernen von größter Bedeutung zu sein, dass die Hedonisten ihr Lernen selbst bestimmen können. Das bezieht sich nicht nur auf die Geschwindigkeit und die Intensität des Lernens, sondern auch darauf, was man lernt bzw. was man als lernrelevant oder als Lernthema ansieht. Das bezieht sich auf Sportarten genauso wie auf jugendkulturelle Stile und Szenen oder auf Cartoons und Comics. Die Hedonisten definieren selbst, was zu lernen ist, und bestimmen sich selbst dann als Experten für eine bestimmte Sache. Das Internet hilft ihnen dabei, schnell und zielgerichtet Suchergebnisse zu finden und sich im Bedarfsfall (on-demand) z. B. über Gesundheitsthemen zu informieren (vgl. Barz & Tippelt, 2004a; Tippelt u. a., 2003).

4.2.2.3 Mediennutzung

Für die Hedonisten spielen Medien eine bedeutsame Rolle im Alltag und in ihrer Lebenswelt. Sie sind mit einem breiten Spektrum an Geräten ausgestattet, einzig das Lesen von geschlossenen Fließtexten wie Bücher oder Zeitungsartikel ist nicht wirklich präferiert.

Aufgrund der bre iten Nutzung und der hohen Nutzungsfrequenz digitaler Medien konzentriert sich der folgende Abschnitt auf das Wesentliche der Fragestellung: Es geht nach wie vor um Nutzungsmuster mobiler Technologien wie portable Spielkonsolen und Handys, wobei der PC und das Internet für diese Nutzungsgewohnheiten eine zentrale Rolle spielen und ebenfalls bearbeitet werden. Aufgrund der reichhaltigen Datenlage genügt daher auch die Konzentration auf die männlichen 14- bis 24-jährigen Hedonisten unter Berücksichtigung aktueller Daten (MDS online, 2010. Stand: April 2010), ohne Kinder oder ältere Erwachsene mitzuberücksichtigen. Die Daten beziehen sich auf 1.965.000 deutschsprachige männliche 14- bis 24-Jährige im Segment der Hedonisten (nach SIGMA). Diese Zahl wurde von n=756 Interviews, das sind 945 gewichtete Fälle, hochgerechnet (ebenda).

4.2.2.3.1 Computer und Internet

Fast 88 % der jungen männlichen Hedonisten haben einen Internetanschluss zu Hause im Haushalt. Davon sind etwa 68 % Breitbandanschlüsse über DSL oder über Kabelfernsehen. In den Haushalten gibt es nach Zahlen mehr Computer als infrage kommende Jugendliche. Demnach gibt es insgesamt 2.237.000 Computer, davon sind 670.000 Notebooks und 1.567.000 stationäre PCs. Natürlich muss man davon ausgehen, dass in einigen Haushalten mehrere Computer vorhanden sind und dass es einige Haushalte ohne Computer gibt. Ein Hinweis darauf sind die 3,1 %, die angeben, den Computer weder beruflich noch privat zu nutzen, da alle anderen Angaben Mehrfachnennungen zulassen und so keine absolute Angabe über Nicht-Nutzer möglich ist.

Etwa 85 % der männlichen Hedonisten zwischen 14 und 24 Jahren sind Internetnutzer und etwa drei Viertel von ihnen gehen mindestens jeden zweiten Tag ins Internet. Von zu Hause aus gehen etwa 81 % ins Internet, bei Freunden oder Verwandten etwa 35 %, in der Schule ca. 23 % und von unterwegs, über einen mobilen Internet-Zugang, fast 4 %.

Im Milieuvergleich und im Vergleich zu den gleichaltrigen Mädchen in diesem Segment ist die Offline-Computernutzung der Jungen eher zurückhaltend und in allen Bereichen unterdurchschnittlich. Bevorzugte Tätigkeiten sind dabei (absteigend sortiert):

  • Spiele,

  • Texte schreiben, Tabellen rechnen, Büroarbeiten und -organisation,

  • Musik verwalten / auf MP3-Player übertragen,

  • Nachschlagewerke, Lexika, Wörterbücher nutzen,

  • Fotobearbeitung/-verwaltung.

Internettätigkeiten

Anhand der Tätigkeiten, denen die männlichen Hedonisten im Alter von 14 bis 24 Jahren häufig oder gelegentlich im Internet nachgehen, wird die große Bandbreite der Mediennutzung der Hedonisten deutlich.Von Interesse ist daher nicht nur, wie viele der männlichen Hedonisten zwischen 14 und 24 Jahren angeben, einer bestimmten Tätigkeit nachzugehen, sondern auch, wie hoch dieser Wert im Verhältnis zu allen jungen Menschen einzuschätzen ist. Die Daten beziehen sich daher in erster Linie auf den Anteil, den die Zielgruppe (Jungen, 14 bis 24 Jahre, Hedonisten) im Verhältnis zur Grundgesamtheit (14- bis 24-Jährige) an einer bestimmten Tätigkeit hat. Der Unterschied in der Relevanz einer Tätigkeit im Verhältnis zur jeweiligen Nutzung der jugendlichen weiblichen Hedonisten zeigt darüber hinaus an, ob eine bestimmte Tätigkeit jungenspezifisch ist oder lediglich spezifisch bzw. relevant in Bezug auf die Hedonisten insgesamt.

Zur Angabe der Relevanz einer bestimmten Tätigkeit dienen daher zwei Bezugsgrößen, zum einen der Anteil der Jungen, der angibt, eine bestimmte Tätigkeit zu nutzen, und zum anderen die Affinität bzw. der Index in Bezug auf alle Befragten.Je höher der Index bzw. die Affinität ist, umso eher ist eine bestimmte Tätigkeit herausragend für die Jungen unter den Hedonisten. Dies ist dann aber auch vor dem Hintergrund zu sehen, wie viele der Jungen einer bestimmten Tätigkeit nachgehen.

Daraus ergibt sich z. B. in Bezug auf das Versenden und Empfangen von E-Mails folgende Lesart: Etwa 80 % der männlichen Hedonisten zwischen 14 und 24 Jahren geben an, E-Mails zu versenden und zu empfangen. Mit diesem Wert liegen sie aber etwas unter dem Durchschnitt in Bezug auf alle Befragten aller Milieus (Alter 14 bis 24 Jahre). Umgekehrt bringen nur 20 % der jugendlichen männlichen Hedonisten selbst Inhalte in WIKI-Artikel, Blogs oder ähnliche Web 2.0-Inhalte ein. Trotz dieser eher geringen aktiven Beteiligung an der Erstellung von Web 2.0-Inhalten liegen sie damit nur leicht unter dem Durchschnitt aller 14- bis 24-Jährigen.

 


Abbildung 30: Internet-Tätigkeiten der 14- bis 24-jährigen männlichen Hedonisten (MDS online, 2010. Eigene Auswertung)

 

Beachtet man zunächst nur die im Milieuvergleich überdurchschnittlich häufig genannten Tätigkeiten im Internet, fallen die Downloads von Musik, Filmen und anderen Dateien auf, und dabei scheint es kaum eine Rolle zu spielen, ob Inhalte kostenlos oder kostenpflichtig sind. Hinzu kommen Fernsehen, Online-Videos und Filme schauen. Das Nutzungsmuster der vielfältigen Downloads ist dabei spezifisch für Jungen, da die Mädchen in diesem Bereich unter dem Gesamtdurchschnitt liegen.

Weiterhin sehr bedeutsam ist das Online-Spielen mit anderen. Hier gibt etwa die Hälfte der Jungen an, häufig oder gelegentlich mit anderen online zu spielen, wohingegen nur etwa ein Drittel der Mädchen dieser Frage zustimmt.

 

Aktive Teilnahme am Web 2.0


Abbildung 31: Web 2.0-Tätigkeiten der 14- bis 24-jährigen männlichen Hedonisten (MDS online, 2010. Eigene Auswertung)

 

Die Jungen in diesem Segment sind am Social Web und an Social Communities weit weniger interessiert als andere junge Menschen in diesem Alter. Sie sind nicht die Kerngruppe der Nutzer von Social Communities, und im Gegensatz zu ihrem Downloaden und Anschauen von Videos sind sie eher in der Minderheit, wenn es darum geht, Videos z. B. in YouTube einzustellen. Im Gegenzug, wenngleich nur durchschnittlich, sind es eher die Mädchen, die in Facebook oder SchülerVZ bzw. StudiVZ Profile pflegen oder Blogs lesen und kommentieren. Demgegenüber haben bzw. pflegen die Jungen eine eigene Homepage, die nicht mit einem technisch einfach zu bedienenden Blog gleichzusetzen ist. Zum Erstellen eigener Homepages ist im Verhältnis zu Blogs Expertenwissen notwendig, das sich diese Jungen angeeignet haben und in Form einer Homepage artikulieren.

 

Informationssuche

Die männlichen Hedonisten zwischen 14 und 24 Jahren nutzen das Internet überdurchschnittlich zur häufigen und gelegentlichen Suche nach Informationen zu Autos und PKW-Angeboten, zu Sportergebnissen und -berichten sowie zu Computern und Unterhaltungselektronik. Dies passt zu den bisherigen Ergebnissen über die Hedonisten, ihrer Affinität zu Freizeit und Unterhaltung mitsamt der Technologie, die für die jeweiligen Bereiche prägnant ist. Gleichzeitig eignen sie sich über das Internet Expertenwissen über diese Bereiche an. Sie informieren sich im Internet über Computer und Unterhaltungselektronik, die sie auch ebenso breit nutzen.

 


Abbildung 32: Suche nach Informationen der 14- bis 24-jährigen männlichen Hedonisten (MDS online, 2010. Eigene Auswertung)

 

Die Mädchen interessieren sich in dieser Perspektive eher für die Themen Gesundheit und Wellness, Kosmetik und Mode sowie interessanterweise für Immobilienangebote.

Besonders herausragend für die Jungen dieses Segments ist ihre Affinität zu Erotik und Sex im Internet. Die Jungen der Hedonisten haben dabei die zweithöchste Affinität zu Erotik und Sex im Milieuvergleich. Dabei machen diese Jungen etwa ein Drittel derer aus, die zwischen 14 und 24 Jahren alt sind und Erotik und Sex nutzen, wobei es keine Jungengruppe gibt, die solche Angebote nicht oder unterdurchschnittlich nutzt.

Wie bereits unter dem Stichwort Lifestyle diskutiert, hängt die Nutzung von Erotik und Sex mit Körperlichkeit zusammen. Diese Art der Unterhaltung oder des Spaßes ist dabei auch mit Bezug auf die konsequente Ich-Orientierung und die Erlebnisorientierung der Hedonisten zu verstehen. Ob man die Suche nach Erotik und Sex in den Bereich des Risikohandelns einordnen kann, ist unklar, wobei in diesem Fall finanzielle Risiken und Fallen in Form von Bezahlinhalten und Abonnements vorstellbar sind.

4.2.2.3.2 Portable Spielkonsolen

In dem Verständnis, dass Spaß und Körperlichkeit für junge männliche Hedonisten relevant sind und zudem Computerspiele und Spielkonsolen eine Art körperlichen Spaß bieten, ist die Nutzung insbesondere von portablen Spielkonsolen zu betrachten.

Etwa 70 % der Jungen im Segment der Hedonisten besitzen eine Spielkonsole. Sie sind dabei mit Abstand die Gruppe, die am ehesten eine Spielkonsole hat. Rechnerisch kommen auf jeden Konsolenbesitzer 1,77 Spielkonsolen. Von den rechnerischen 1.367.000 Konsolenbesitzern hat etwa die Hälfte (675.000) eine der folgenden portablen Konsolen: Sony PSP (Playstation Portable), Game Boy Advance, N-Gage (Nokia) oder Nintendo DS.

 


Abbildung 33: Besitz von Spielkonsolen der 14- bis 24-jährigen männlichen Hedonisten (MDS online, 2010. Eigene Auswertung)

 

Obwohl die portable Konsole Nintendo DS und die stationäre Nintendo Wii bei den jungen männlichen Hedonisten etwas überdurchschnittlich beliebt sind, sind diese beiden Geräte in Bezug auf die Hedonisten insgesamt etwas eher bei den Mädchen beliebt. Von den stationären Konsolen sind die beiden Top-Geräte Microsoft XBox360 und Sony Playstation 3 bei den Jungen besonders beliebt. Diese beiden Geräte haben gemeinsam einen Anteil von über 25 % an den Konsolen der Jungen.

Die portable Konsole Sony Playstation Portable (PSP) ist bei den Jungen besonders beliebt. Über 12 % der männlichen Konsolenbesitzer der Hedonisten haben eine PSP, und der größte Anteil der PSP-Besitzer im Milieuvergleich entfällt mit 36 % auf diese Jungen. Und selbst der schon in die Jahre gekommene Nintendo Gameboy Advance (aus dem Jahr 2001) ist bei 18 % dieser Jungen anzutreffen. Auch hier sind wieder etwa 30 % der Geräte in den Händen der Jungen im Segment der Hedonisten.

4.2.2.3.3 Handynutzung

Etwa 96 % der 14- bis 24-jährigen männlichen Hedonisten haben ein Handy. Das bedeutet, dass 4 % von ihnen kein Handy besitzen. Dieser Wert liegt etwa im Durchschnitt, wobei im Milieuvergleich eher Jungen keine Handys haben als Mädchen.

Etwa 60 % derer, die ein Handy haben, haben eine Prepaidkarte und etwa 40 % haben einen Handyvertrag mit monatlicher Grundgebühr. In Bezug auf Handyverträge liegen die Jungen damit unter dem Milieudurchschnitt und gleichzeitig über dem Durchschnitt in Bezug auf Prepaidkarten.

Etwa zwei Drittel der 14- bis 24-jährigen männlichen Hedonisten geben 10 bis 25 EUR pro Monat für das Handy aus und etwa 7 % geben 40 EUR bis über 50 EUR pro Monat aus (MDS online, 2009. In den jüngeren Befragungen wurde dieser Wert nicht mehr erhoben). Dieser Bereich eines möglichen Risikohandelns in Bezug auf finanzielle Überschuldung betrifft eher die Mädchen. Hier geben 4,2 % der Mädchen an, 50 EUR oder mehr monatlich für das Handy auszugeben, wobei nur 2,4 % der Jungen diese Angabe machen.

 

Handymarken

Nachdem die Hedonisten als freizeit- und lifestylebetontes soziales Segment beschrieben wurden, scheint in dieser Hinsicht die Marke des eigenen Handys von Bedeutung. Aufgrund des breit gefächerten Handymarktes sind auch entsprechende Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen zu erwarten.

 


Abbildung 34: Handymarken der 14- bis 24-jährigen männlichen Hedonisten (MDS online, 2010. Eigene Auswertung)

 

Nur sehr wenige der Befragten (etwa 1 %) können oder wollen zu ihrer Handymarke keine Angaben machen. Die Handymarke und das Wissen darum scheint daher etwas nicht Unwesentliches zu sein.

Die in der VerbraucherAnalyse und der entsprechenden Befragung offenbar vorgegebenen Handymarken enthalten auch die dänische Marke Bang&Olufsen, die im April 2010 keine Handys im Sinne von Mobiltelefonen herstellten. Trotzdem gab es einen Befragten, der angab, ein solches Handy hauptsächlich zu benutzen.

Etwa 3 % der männlichen Hedonisten gab an, eine nicht aufgeführte Handymarke zu besitzen. Dieser überdurchschnittliche Wert weist – wie die Modepräferenzen – auf eine hohe Diversität in diesem Bereich hin. Dabei geht es möglicherweise auch darum, sich nicht unbedingt an den großen und bekannten Marken zu orientieren, sondern ein eher unbekanntes oder nur in bestimmten Nischen bekanntes Handy zu haben und sich möglicherweise ein spezielles Handy nach den eigenen Bedürfnissen im Internet gesucht zu haben.

Die Mehrheit der Jungen in diesem Segment (55 %) hat entweder ein Handy von Nokia oder Sony Ericsson. Im Gender-Vergleich ist Nokia eher ein Jungen-Handy und Sony Ericsson eher etwas für Mädchen. Ausschlaggebend ist dabei möglicherweise, dass man mit Nokia-Handys eher spielen kann und Sony Ericsson für Videobearbeitung bekannt ist. Nach den JIM-Studien und der VerbraucherAnalyse bevorzugen Mädchen eher Videofunktionen bei Handys (vgl. Kapitel ).

Herausragend spezifisch für Jungen scheint aber das iPhone von Apple zu sein. Zwar haben nur 1,6 % der Jungen dieses Segments ein iPhone, dennoch machen sie 25 % der iPhone-Nutzer zwischen 14 und 24 Jahren aus.

 

Handyanwendungen


Abbildung 35: Genutzte Handyanwendungen der 14- bis 24-jährigen männlichen Hedonisten (MDS online, 2010. Eigene Auswertung)

 

Für fast alle Jungen ist das Versenden und Empfangen von SMS bedeutsam, sie liegen damit im Milieudurchschnitt. Weit verbreitet und durchschnittlich genutzt werden ‘Fotos machen’ und ‘per MMS versenden’, das ‘Internet nutzen’ und ‘Musik herunterladen’. Unterdurchschnittlich nutzen die Jungen dagegen die Organizer-Funktionen (z. B. Kalender, Adressbuch, Wecker), das Radio, die Möglichkeit, Videos mit dem Handy zu machen oder sie zu versenden, sowie das Handy als Diktiergerät zu benutzen. Diese Funktion nutzen die jungen weiblichen Hedonisten überdurchschnittlich, ebenso wie das Versenden von Fotos und die Videofunktion.

Leicht überdurchschnittlich nutzen die männlichen Hedonisten die Möglichkeit, mit dem Handy zu spielen oder Spiele herunterzuladen. Weitere Anwendungen, die auf Netz-Dienste wie z. B. das Internet zugreifen, sind Info-Dienste, das Herunterladen von Klingeltönen und Logos oder das Empfangen und Versenden von E-Mails. Die eher unterdurchschnittliche Nutzung des Radios gleichen sie durch überdurchschnittliche Nutzung des Handys als MP3- Player wieder aus.

Es sei erwähnt, dass die Nokia-Spieleplattform N-Gage, die auf den aktuellen Modellen der N-Serie verfügbar ist, das Handy zu einer tragbaren Spielkonsole macht. Mobile Geräte wie das iPhone machen die Unterscheidung zwischen Handy, Smartphone und PDA schwierig. Hinzu kommt, dass diese Kategorie von Geräten in der Rechenleistung an portable Spielkonsolen heranreichen und auch hier Nutzungsmuster und Nutzungsbereiche schwer trennbar sind. Gleichzeitig verschränken sich hier Nutzungsbereiche, indem einige portable Spielkonsolen ebenso die Möglichkeit bieten, Fotos und Videos aufzunehmen oder beispielsweise als mobiler Speicher dienen.

Wenig genutzt, aber im Milieuvergleich sehr relevant, scheint für die Jungen dieses Segments neben Mobil-TV die GPS-Funktion des Handys zu sein. Diese Funktion ist vor allem in den neueren Geräten zu finden und dient zum einen dazu, den Ort, an dem man ein Foto aufgenommen hat, in der Bilddatei abzuspeichern, zum anderen dient sie dazu, sich selbst und das Handy auf einer Landkarte zu positionieren. Anhand dieser Positionierung kann man z. B. ortsbezogene Dienste nutzen und sich beispielsweise Restaurants in der Nähe anzeigen lassen oder in einem eher herkömmlichen Sinne das Handy als Navigationsgerät nutzen.